Wenn das Messer zu locker sitzt – Carmen als Ballett an der Semperoper

Gewalt gebiert Gewalt, erfährt das Kind (Anna Merkulova, nicht im Bild), das mit dem tödlichen Eifersuchtsdrama von Carmen (Ayaha Tsunaki) und Don José (Jón Vallejo) aufwächst. Fotos: Ian Whalen

Dresden. Während immer mehr Schauspieler heutzutage glauben, singen zu können und mit eigenen Bands durch die Lande tingeln, halten Tänzer sich da vornehm zurück. Schade eigentlich. Man stelle sich vor, die junge, aufreizend hübsche Coryphée des Semperoper-Balletts Ayaha Tsunaki, die die Titelpartie des abendfüllenden Zweiakters „Carmen“ tanzt, könnte so schön singen wie Maria Kataeva, die im Juni die Carmen in Bizets Oper hier am Hause geben wird.

Das käme der literarischen Vorlage am nächsten. In der Novelle des französischen Erzählers Prosper Mérimée von 1847 – den Marius Petipa kurz darauf als Choreografie inszenierte und Georges Bizet 1875 zur Oper verarbeitete – fasziniert Carmen die Männerwelt als singende und tanzende Femme fatale.
Doch ein männermordender Vamp wie Salomé, die den Kopf des Täufers fordert, war den Leuten zu brutal. „Der Schlüssel zum Erfolg“, glaubt Dramaturg Johann Casimir Eule im Blick auf bisherige Interpretationen des Stoffs, „ist, dass nicht er, sondern zur Beruhigung des patriarchalen Publikums sie stirbt“. Das finde er aus heutiger Sicht problematisch, meinte Eule in der Werkeinführung und verwies auf die aktuelle Mordstatistik. „An drei Tagen pro Woche stirbt in Deutschland eine Frau zu Hause wegen eines Beziehungskonflikts.“

Gewalt und tödliche Eifersucht, Hass und Rache ziehen sich auch durch Mérimées Novelle. Deren Brutalität stieß auch dem schwedischen Choreografen Johan Inger auf und so fügte er 2015 der Tradition der Adaptionen eine neue Sichtweise hinzu: aus den Augen eines unschuldigen Kindes, das in diesen Verhältnissen groß wird, und zeigt damit die gesellschaftliche Dimension häuslicher Gewalt.

Augen- und Ohrenschmaus

Dazu bedarf es keiner Worte. Universell verständlich erzählt die Company mit dem Handwerkszeug des klassischen Balletts und des in Dresden begründeten Ausdruckstanzes eine Geschichte, die so sexy wie bedenkenswert ist. Den Augenschmaus unterstreichen die sparsamen Kostüme und universelle Bühnenbild eindrucksvoll.
Statt Musik vom Band wie bei der Uraufführung in Madrid erklingt die Staatskapelle live mit Musik von Georges Bizet und Rodion Schtschedrin sowie Neukompositionen von Marc Álvarez. Ein Hörgenuss. Fazit: ein rundum kurzweiliger lohnender Abend.
Una Giesecke

10./16./24.2., Semperoper, Tel. 0351 4911705, www.semperoper.de

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