50. Dixieland-Festival: Vom halbvollen Saal zur Dixie-Hauptstadt

Er war Musikjournalist, Jazzmusiker, Moderator und vor allem einer der Begründer des Internationalen Dixielandfestivals: Karlheinz Drechsel konnte leider das Jubiläumsfestival nicht mehr erleben. Er starb im Oktober 2020. Foto: Archiv/ EKG

Teil 2 der DAWO!-Serie: Wie ein Hauch von weiter Welt durch das „Tal der Ahnungslosen“ wehte

„Dixieland tut allen gut, weil es richtig tuten tut!“ – diesen urigen Spruch hatte sich vor Jahren mal ein enthusiastischer Besucher eines Open-Air-Konzertes auf ein großes Transparent gemalt, das er stolz in die Höhe reckte.
Wenn auch musikwissenschaftlich etwas bescheiden ausgedrückt, hatte er dennoch den Nagel auf dem Kopf getroffen. War es doch eine einfache Erklärung für das Phänomen, das alljährlich unsere Stadt heimsucht und mit dem Begriff „Dixie-Fieber“ nur unzureichend zu beschreiben ist. Ende der 1960er Jahre von DDR-Staats- und Parteichef Ulbricht noch als „Affenmusik“ bezeichnet, erlebte die hierzulande bis dahin kaum bekannte Musikform eine kaum erwartete Popularität.

Zwischending von FDJ-Songs und Böhmischer Blasmusik?

Ursache dafür war zweifelsohne das erste Internationale Dixielandfestival 1971 in Dresden. Dessen Urväter – Karlheinz Drechsel, Erich Knebel und Joachim Schlese – hatten seinerzeit die skeptischen Kulturfunktionäre überzeugen können, dass Dixieland „so ein Zwischending von Singebewegung der FDJ und Böhmischer Blasmusik“ sei. Daraufhin gab’s grünes Licht für die Premiere und im Kulturpalast „tutete“ es zum ersten Mal.
Beim 1. Festival am 30. Mai 1971 war der Festsaal des Kulturpalastes nur halbvoll. Sechs Bands aus vier Ländern (DDR, Polen, CSSR, Ungarn) wurden dennoch frenetisch gefeiert. Unmittelbar nach Ende des Festivals begann der Deutschlandsender, eine anderthalbstündige Sendung auszustrahlen.

In Dresdens Freibädern die Werbetrommel gerührt

1972 ging das 2. Festival erstmals über drei Tage. Der Vorverkauf lief schleppend, deshalb wurden Werbezettel gedruckt und Joachim Schlese ging mit Pressechef Wolfgang Grösel auf Werbetour durch die Dresdner Freibäder, verteilten (in Badehosen!) die Flyer. Die Folge: fast ausverkauft! Erstmals traten in Dresden zwei „West“-Bands aus Holland und Dänemark auf.
Der „Dixie-Virus“ hatte Dresden nun infiziert. 1973 beim 3 Festival waren Eintrittskarten erstmals Mangelware und in den Folgejahren gab’s Tickets nur noch durch Beziehungen oder Schlangestehen. So wurden die ersten „Wartegemeinschaften“ gegründet, die sich schon Tage vor dem Verkaufsstart nach Eintrittskarten anstellten. Inzwischen gehört es unter den Dresdner Jazzmusikern schon zum guten Ton, dass die Bands abends oder nachts (oft noch nach ihren Konzerten) mit Instrumenten zu den Vorverkaufskassen kommen, um den oft über eine Woche (!) Anstehenden in den Wartegemeinschaften ein Ständchen zu bringen.

Als 1978 zum ersten Mal eine „Street Parade“ aller beteiligten Musiker auf dem Programm stand, waren mehr Menschen auf den Beinen, als bei der von der Staatspartei angeordneten Parade am 1. Mai. Jazz war zu einem Massenereignis geworden. Das „Tal der Ahnungslosen“ hatte plötzlich einen kleinen Blick in die große weite Welt: Das Dresdner Festival wurde immer mehr seinem Namen gerechter, nämlich internationaler. 1975 war mit der Old Merry Tale Band aus Hamburg erstmals eine Band aus der BRD aufgetreten und erntete tobenden Applaus. Die weiteren Festivals hatten mindestens eine westdeutsche Band zu Gast und aus aller Herren Länder kamen Musiker in die Stadt, die 1978 von John Evers, Chef der „Blue Note Seven“ aus Wien, zur ultimativen „Hauptstadt des Dixielands“ getauft wurde. Ein weiterer Höhepunkt in der Festival-Geschichte war 1980 der erste Auftritt einer Band aus den USA in Dresden: Die Harlem Jazz And Blues Band brachte extra einen „Dresden-Jump“ mit.

Dixie-Festival „überlebte“ auch DDR-Volkswahlen

Wenn man zurückblickt, gab es in der Festivalgeschichte allerdings auch einige schwierige Momente. 1989 sorgten vor dem Start die für den Abschlusstag des Festivals geplanten Kommunalwahlen für einen Riesenschreck. Festival verlegen oder gar absagen? Ging nicht, da alle Gruppen schon vertraglich gebunden waren und soviel „Westgeld“ für die dadurch gewiss zu erwartenden Vertragsstrafen konnte und wollte in der DDR dann auch niemand auftreiben – so die überzeugenden Argumente der Festival-Veranstalter. Mit soviel Überzeugungsarbeit wurde das 19. Festival gerettet.

Allen Turbulenzen getrotzt – bis der Virus kam

Auch in der Nachwendezeit wurden viele Turbulenzen gemeistert. So kam es, dass zum 20. Internationales Dixieland Festival nicht ein einziges Konzert ausverkauft war. Ein Umstand der ein Jahr vorher nicht denkbar gewesen wäre. Nicht wenige Musiker, Gäste (und auch einige Organisatoren) befürchteten, dass dies das letzte Festival sein könnte. Die Organisatoren tingelten durchs ganze Land, machten in Wirtschaft, Medien und Politik mobil. Die „Sächsische Festival Vereinigung“ wurde gegründet und in der Folgezeit wurden die Hürden der Marktwirtschaft geschafft.

Kaum zu glauben: Was DDR-Politik, Wetterunbilden und Marktwirtschaft nicht gelang, den Dixie-Virus einzuschränken, hat nun ein anderer, weitaus bösartiger Erreger – Covid 19 – fast geschafft. Doch wie’s nun aussieht, scheint das zweimal verlegte Jubiläumsfestival nun endlich in diesem Jahr stattzufinden. Keine Frage, die „Dixie-Inzidenz“ ist steigend!

Aufgeschrieben von Ekki Garten

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