
Ein ehemaliger Arzt sammelt historische Wertpapierurkunden und hat einen speziellen Teil seiner Sammlung dem Schulmuseum Dresden geschenkt.
Viele Menschen sammeln Ansichtskarten, Briefmarken, Münzen, Medaillen. Zeitzeugnisse also, die Geschichten erzählen und Geschichte widerspiegeln. Aber Nonvaleurs? Was bitte ist das denn?
Nonvaleurs: Eine ganz eigene Sammelwelt
Da liegen sie also: Sechs große, lederne A3-Ordner voller historischer Aktien, Anleihen, Anteils- und Schuldscheine, Losanteile, Teilschuldverschreibungen und Wechsel. Natürlich alles Originale, die meisten auf Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts datiert und damit um die 150 bis 200 Jahre alt. Und auch wenn diese entwerteten Wertpapiere, die als „Nonvaleurs“ bezeichnet werden, längst nicht mehr gültig sind – etwas wert sind sie allemal. Keiner wüsste das besser als Jörgen Ter-Nedden, der Besitzer jener Sammlung, die nun im Schulmuseum Dresden liegt. Doch dazu später…
Um zu verstehen, was Nonvaleurs sind, muss man dem 82-Jährigen einfach nur zuhören.
Der alte Herr aus Frankfurt a.M. weiß einfach alles über diese entwerteten Wertpapiere. Zum Beispiel, dass sie „ein faszinierendes Zeugnis, ja ein Spiegelbild der Wirtschafts- und Sozialgeschichte eines Landes, sogar einer Region“ sind. Dass man anhand solcher zum Teil sehr aufwendig und wertig gestalteten Papiere die Entstehung ganzer Familiendynastien und Wirtschaftszweige nachverfolgen kann. Dass man sogar nachvollziehen kann, wie sich eine Stadt entwickelt hat …





Ein eigner Markt für die „Nicht-Werte“
Wann seine Sammelleidenschaft begann? Herr Ter-Nedden weiß es genau. „Das war um 1970, ich war Arzt, hatte meine Praxis in Frankfurt direkt neben der Börse. Einer meiner Patienten war Börsenhändler und schenkte mir so eine entwertete Aktie.“
Was Jörgen Ter-Nedden damals nicht ahnen konnte: Erst in jenem Jahr verbreitete sich von England aus die Sammelleidenschaft für alte Wertpapiere. 1978 prägte die Londoner Times den passenden Begriff dafür: Scripophilie. War der 82-Jährige also einer der ersten Sammler, wird deren Zahl bundesweit mittlerweile auf rund 5.000 geschätzt. Jährlich stecken sie mehrere Millionen Euro in ihr Hobby.
Die allererste Aktie stammt übrigens von 1606, herausgegeben von der Niederländischen Ostindien-Compagnie. Der heutige Wert dieses entwerteten Papiers? Für die meisten Menschen unbezahlbar. Die Gründeraktie der Standard Oil mit Originalunterschrift von John D. Rockefeller ging 1997 bei einer Auktion für 270.000 Mark über den Tisch. Mittlerweile dürfte das ihr Wert in Euro sein. Viele Nonvaleurs dagegen sind aktuell schon ab zehn bis 85 Euro zu haben. Brauereien, Bergwerke, Industriebetriebe, Eisenbahngesellschaften, Banken, Schifffahrtslinien, selbst Zoos und Schulen – sie alle brachten Aktien und Anleihen auf den Markt, um zu Kapital für ihre Bauvorhaben zu kommen. Je mehr Wertpapiere für ein Projekt ausgegeben wurden, umso niedriger ist heute ihr Sammelwert. „Es gab allerdings auch Wertpapiere in geringen Stückelung von sieben oder 20, die sind heute sehr wertvoll“, weiß Herr Ter-Nedden, der im Laufe seiner langen Scripophilie-Zeit sehr viel Geld in Nonvaleurs gesteckt hat. Um den Haussegen nicht allzu schief hängen zu lassen, habe er seiner Frau nicht immer den wahren Wert verraten.
Wie kommen Ter-Neddens Nonvaleurs nach Dresden?
Gisela Ter-Nedden (78) hat die Vorliebe ihres Gatten für die oft sehr kunstvoll gestalteten Papiere all die Jahre akzeptiert. Sammlerin ist die ehemalige Lehrerin allerdings nie geworden. Das übernahm ihr Ehemann für sie. Trug er nämlich anfangs „alles über Medizin von Geburt bis zum Tod“ zusammen, so schwenkte er irgendwann parallel zum Thema Schule über. „Denn vor allem im frühen 19. Jahrhundert war es üblich, dass Schulen, Lehrerwohnungen, Badeanstalten und Bildungsanstalten aller Art mit privatem Kapital finanziert wurden“, erklärt der ehemalige Arzt. Zwar sei das in Holland und Amerika üblicher gewesen als in Deutschland, doch auch hier finden sich Zeugnisse. Zum Beispiel der Schuldschein von März 1896 zum Bau einer Schule in Salonik oder jener über 8.000 Reichsmünzen für den Schulbau in Albersdorf und Wennbüttel 1854. Und auch dafür hat Ter-Nedden einen Nachweis: Dass man sich 1855 für 250 Gulden am Bau eines „Medizinischen Asyl für minderjährige Idioten“ beteiligen konnte.
Dass diese fast 300 bildungsbezogenen Nonvaleurs nun im Schulmuseum Dresden gelandet sind, hat einen so simplen wie hocherfreulichen Grund: „Dieses Schulmuseum ist nach meiner Recherche einfach das beste“, sagt Jörgen Ter-Nedden. Für Franz Neugebauer, den Vorsitzenden des Schulmuseum-Vereins, ist das nicht nur ein riesengroßes Lob. Er weiß auch um die Bedeutung des Geschenkes. „Das werden wir mit Geschichtsstudenten aufarbeiten und hoffentlich eines Tages ausstellen können.“
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