Überlastung von Sachsens Pflegepersonal vorprogrammiert

Foto: djd/DEVK/Marc Walter/Archiv

Chronische Überlastung und einen deutlichen Personalmangel spüren nicht nur die Patienten. Immer häufiger klagen Pflegekräfte über gesundheitliche Folgen ihres Berufs.

In den sächsischen Pflegeheimen lastet ein Großteil der geleisteten Arbeitsstunden auf Teilzeitkräften. Nur 21,6 Prozent dieser Pflegekräfte sind in Vollzeit angestellt. So wurden laut aktuellem BARMER Pflegereport im Freistaat 2017 mehr als 57.000 Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen von rund 18.200 Pflegekräften versorgt. Von ihnen arbeiteten rund 70 Prozent in Teilzeit. Damit fand sich in Sachsen die bundesweit geringste Quote an Vollzeitbeschäftigten in stationären Pflegeeinrichtungen. Sie lag im Bundesdurchschnitt bei 28,9 Prozent. Der Anteil an Teilzeitbeschäftigten dagegen erreichte im Freistaat einen bundesweiten Höchstwert.

„Der Eindruck, dass sich die Arbeitsstunden auf mehrere Schultern verteilen, täuscht jedoch. In Sachsen konzentriert sich ein überdurchschnittlich hoher Arbeitsstundenanteil auf Teilzeitbeschäftigte, die oft einspringen müssen, wenn Kollegen krankheitsbedingt ausfallen. Das geht zu Lasten der Gesundheit“, mahnt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen und verweist auf einen Teufelskreis, den es zu durchbrechen gelte.

„Kann die Arbeit aufgrund von unzureichender Personalausstattung nicht geschafft werden, kommt es zu einer erhöhten Beanspruchung der Pflegekräfte bis hin zur Überlastung. Das wiederum führt zu vermehrten Fehlzeiten oder sogar zum Berufsaustritt“, sagt Magerl.

Er verweist auf den kasseneigenen Branchenatlas der Fehlzeiten. Im Ranking der Berufsgruppen liegt das Personal in Pflegeheimen in Sachsen bei den krankheitsbedingten Fehlzeiten mit durchschnittlich 30 Ausfalltagen an erster Stelle.

Krankheit und Frühverrentung kosten rund 1.200 Pflegekräfte

Auf 100 stationär versorgte Pflegebedürftige kamen in Sachsen 2017 gerade einmal 24 beschäftigte Pflegefachkräfte und 12 Pflegehilfskräfte. In Baden-Württemberg waren es im Vergleich dazu 31 Pflegefachkräfte und 14 Pflegehilfskräfte je 100 Pflegebedürftige. Der Bundesdurchschnitt lag bei 27 zu 17. Fast 80 Prozent unter ihnen sind Frauen, davon mehr als 30 Prozent über 55 Jahre alt.

Die Beschäftigten in der Altenpflege leiden unter höheren physischen Belastungen als viele andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So arbeiten sie häufiger im Stehen und müssen schwerer tragen und heben. Doch damit nicht genug: Pflegekräfte stehen auch stärker unter Termin- und Leistungsdruck als Beschäftigte in vielen anderen Branchen. Damit haben sie häufiger das Gefühl bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen zu müssen.

In der Corona-Pandemie haben sich diese Bedingungen noch einmal verschärft. Da es sehr schwierig ist Fachpersonal zu akquirieren, ist es umso wichtiger, für die Gesunderhaltung der aktuell Beschäftigten zu sorgen. Bei unzureichender Personalausstattung fallen für die Beschäftigten immer mehr Überstunden an, die Dienstpläne können nicht verlässlich eingehalten werden, Pflegekräfte werden regelmäßig ‚aus dem Frei‘ gerufen.

„Durch eine zu hohe Arbeitsbelastung können zusätzlich noch Arbeitskräfte verloren gehen, weil sie krankheitsbedingt ausfallen, die Berufsbranche verlassen oder sogar frühverrentet werden“, mahnt Dr. Fabian Magerl.

Hochgerechnet mehr als 1.200 Pflegekräfte gehen in Sachsen durch Krankheit und Frühverrentung so verloren. Mit einer Verbesserung der Arbeitssituation für das Pflegepersonal und der damit einhergehenden Absenkung der krankheitsbedingten Ausfalltage könne dem Personalmangel entgegengewirkt werden. Dabei zeichneten sich bessere Arbeitsbedingungen nicht nur durch eine angemessene Vergütung, sondern vor allem durch möglichst planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten aus.

Rückenschmerzen, Belastungsstörungen, Depressionen

Die Arbeitssituation in der Pflege greift die Gesundheit der Beschäftigten massiv an. Mit den höheren Belastungen kommt es häufiger zu Erkrankungen des Muskelskelettsystems, insbesondere des Rückens, Belastungsstörungen und Depressionen. In Sachsen fehlten 2017 stationäre Pflegerinnen und Pfleger in der Altenpflege durchschnittlich 30 Arbeitstage, im restlichen Bundesgebiet nur 28 Tage.

Schaut man jedoch auf die bundesweiten Auswertungen nach Berufsbranchen rangiert die Berufsgruppe der Altenpflegekräfte in Heimen bundes-, als auch sachsenweit mit der Anzahl Ihrer Fehltage an oberster Stelle. In den Jahren 2016 bis 2018, waren den Ergebnissen des Pflegereports zufolge sachsenweit 8,8 Prozent (Bund: 8,7 Prozent) aller Hilfskräfte und 6,9 Prozent (Bund: 7,2 Prozent) der Fachkräfte in der Altenpflege krankgeschrieben. In anderen Berufen lag der Krankenstand in Sachsen im Schnitt bei 5,5 Prozent (Bund: 5,0 Prozent). Zudem mussten Pflegekräfte erkrankungsunabhängig häufiger und länger im Krankenhaus behandelt werden als andere Erwerbstätige.

„Der Pflegeberuf ist so kraftraubend, dass zudem überproportional viele Beschäftigte nicht bis zur Rente durchhielten. Weitere Untersuchungen haben festgestellt, dass eine Pflegekraft nur etwa 12 Jahre in der Altenpflege arbeitet und der Anteil an Pflegekräften mit einer Erwerbsminderungsrente bis zu doppelt so hoch ist, als in sonstigen Berufen. Hier müssen wir gegensteuern“, sagt Dr. Fabian Magerl.

Arbeitsbedingungen verbessern, Ausbildungsoffensive starten

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege können nicht so bleiben, wie sie sind. „Neben geregelten Arbeitszeiten müssen die Arbeitgeber auch stärker auf Vorsorge setzen. So müssen Präventionsangebote für die Beschäftigten in den einzelnen Einrichtungen zum Standard werden“, sagt Dr. Fabian Magerl.

Mit gezielten Trainings gegen Rückenprobleme oder psychischen Stress könne Einiges erreicht werden. Um die Situation in der Pflege zu verbessern, sei allerdings ein Maßnahmenpaket erforderlich, ergänzte der BARMER Kassenchef. „Eine Aus- und Weiterbildungsoffensive ist in den Pflegeberufen zwingend erforderlich. Der Gesetzgeber hat hier mit der Konzertierten Aktion Pflege, die bis zum Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs an Ausbildungsplätzen vorsieht, einen wichtigen Schritt gemacht. Allerdings richtet sich der Fokus dabei nur auf Pflegefachkräfte. Das reicht nicht aus“, so der BARMER-Landeschef. Die Pflegedienste und -heime müssten auch verstärkt Ausbildungsplätze für Pflegehilfskräfte anbieten.

Sportverband bringt gezielte Präventionsangebote ins Pflegeheim

Bereits im vergangenen Jahr startete der Sächsische Behinderten- und Rehabilitationssportverband e.V. (SBV) gemeinsam mit der BARMER und IKK classic ein Projekt zur Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen. Das Präventionsprojekt fördert zum einen die körperliche Aktivität, die kognitiven Ressourcen sowie die psychosoziale Gesundheit der älteren und hochbetagten Menschen in diesen Einrichtungen.

„Dazu arbeiten wir in den jeweiligen Regionen mit unseren Mitgliedsvereinen zusammen. Außerdem qualifizieren wir ausgewähltes Pflegepersonal zur eigenverantwortlichen Durchführung von bewegungsfördernden Aktivitäten“, erläutert Jana Wolsch, Koordinatorin des Projektes.

Zum anderen richtet sich das Programm auch an das Pflegepersonal. „Ziel ist es, dass die Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen ihren Beruf bei guter Gesundheit bis zum Ausstieg aus dem Berufsleben ausüben können. Um das zu erreichen, wollen wir in Sachsen mit unserem kassenartenübergreifenden Kooperationsprojekt auch die betriebliche Gesundheitsförderung für Pflegekräfte gezielt fördern“, so der Landeschef der BARMER.

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