
Vivien Rücker ist 19 Jahre alt und Dresdens neues Schokoladenmädchen. Die Studentin will den Ruf der Elbmetropole als Schoko-Zentrum zurückholen.
Schon wer das prachtvolle Kleid der jungen Frau sieht, denkt automatisch an Schokolade. Und liegt damit ganz richtig, denn in diese Robe im Ton von dunklem Kakao darf nur eine schlüpfen: Das Dresdner Schokoladenmädchen.
Seit 6. Juni hat Vivien Rücker dieses Amt inne. Die 19-Jährige wurde am Pfingstwochenende zum 6. Dresdner Schokoladenmädchen gekürt. Die gebürtige Dresdnerin hat eine besondere Vita. „Ich studiere Politikwissenschaften und Slavistik an der TU Dresden. Neben dem Studium arbeite ich seit über drei Jahren in der Schokoladenmanufaktur ADORATIO in Thürmsdorf – sowohl im Verkauf als auch in der Produktion. Dort habe ich nicht nur viel über die Herstellung hochwertiger Schokoladenprodukte gelernt, sondern auch erlebt, wie sehr Schokolade Menschen verbindet.“ Was wiederum gut zu ihrem Lebensmotto passt, das von Henry Ford stammt: „Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ist ein Fortschritt, Zusammenarbeiten ist ein Erfolg.“
Dresden war ein „süßes“ Zentrum und soll es wieder werden
Es ist zwar schon sehr lange her, aber Dresden war einst ein besonders „süßes“ Zentrum. Denn nicht nur die prächtigen Barock- und Renaissancebauten hatten die Elbmetropole berühmt gemacht, sondern auch eine Leckerei, die hier ihren Anfang nahm, heute auf der ganzen Welt beliebt ist und in der damaligen Zeit ihres beginnenden Siegeszuges zum wichtigen Wirtschaftsstandort in Dresden wurde. „Wir glauben: So kann es wieder werden. Mit dem Dresdner Schokoladenmädchen® erzählen wir nicht nur die Geschichte der Dresdner Konditorenkunst weiter, sondern zeigen auch, wie lebendig, vielfältig und zukunftsgewandt das regionale Manufakturhandwerk heute ist. Gleichzeitig steht Vivien stellvertretend für eine Generation, die Traditionen hinterfragt und neu belebt“, sagt Ronny Kürschner, Inhaber der Marke „Dresdner Schokoladenmädchen. Zum Jahresende hin will er gemeinsam mit Dr. Peggy Jungke, ebenfalls Inhaberin und Lizenznehmerin der Marke, die Markenwelt des Schokoladenmädchens erweitern und unter dem Label weitere Schokoprodukte in den Handel bringen.
Wer hat’s erfunden? Es waren nicht die Schweizer
Auch wenn die Schweizer ihren Eidgenossen Daniel Peter dafür feiern, 1875 als Erster die Milchschokolade hergestellt zu haben, muss laut und deutlich klargestellt werden: Nein, es waren Gottfried Heinrich Christoph Jordan und August Friedrich Christian Timaeus aus Dresden, die kulinarische Geschichte schrieben.
Schon 30 Jahre früher, nämlich am 23. Mai 1839, posaunten es die beiden Unternehmer im „Dresdner Stadtanzeiger“ in die Welt: „Chocolade mit Eselsmilch präpariert, ohne Gewürz, sowohl zum Kochen in 5/5 Tafeln pr. Pfd, als auch zum Rohessen in 24 Täfelchen pr. Pfd., haben wir anfertigen lassen und verkaufen solche à 1 Thaler pr. Pfd.“.
Zwar bestand ihr Produkt damals aus 60 Prozent Kakao, 30 Prozent Zucker und zehn Prozent Eselsmilch, war deutlich grobkörniger, dunkler und herber als heutige Milchschokolade – dennoch waren Jordan und Timaeus die Ersten, die jene Masse in kleine Täfelchen pressten und auf den Markt brachten.
1910 stand Dresden an der Spitze der deutschen Schokoladenproduktion
Danach ging es eigentlich Schlag auf Schlag. 1838 gründet August Ferdinand Lobeck in Dresden seine Schokoladenfabrik Lobeck & Co., ein Jahr später meldet er seine Erfindung, den löslich entölten Kakao, zum Patent an. 1849 folgen Carl Christian Petzold und Ernst Louis Aulhorn mit ihrer Fabrik Petzold & Aulhorn (Marke Pea). Otto Rüger gesellt sich 1858 in die Riege der Schokofabrikanten, übernimmt die Lobecksche Schokoladenmühle im Lockwitzgrund und 1885 die Hintermühle in Lockwitz.
1870 tritt ein gewisser Heinrich Vogel in die Zuckerfabrik seines Onkels ein und firmiert fortan unter Schokoladenfabrik Hartwig & Vogel. Allein dieses Unternehmen beschäftigt um die Jahrhundertwende rund 1.200 Mitarbeiter und gelangt mit der Marke Tell (die mit dem Tell-Apfel ab 1928) und dem ersten deutschen rein-entölten Kakao zu großer Bekanntheit.
Einmal im Gründungsrausch, kommen die Schokofabriken Johann Gottlieb Kynacht (1886), Riedel & Engelmann (1888), Gerling & Rockstroh (1891) dazu. Sie alle tragen dazu bei, dass Dresden um 1910 an der Spitze der deutschen Schokoladenproduktion steht.
Rund 7.000 Arbeitskräfte standen vor dem Ersten Weltkrieg in der 28 hiesigen Schoko- und Zuckerwarenindustrie in Lohn und Brot. Das entsprach immerhin einem Fünftel aller Beschäftigten dieser Branche im gesamten Deutschen Reich.
Doch damit nicht genug. Auch Russisch Brot ist bekanntermaßen eine Dresdner Erfindung von Ferdinand Wilhelm Hanke (1844), ebenso die Dominosteine von Herbert Wendler (1936). Der „Dresdner Verband der Schokoladenfabrikanten“ gründet sich 1877 mit dem Ziel eines Reinheitsgebotes für Schokolade an, welches zwei Jahre später in Kraft tritt und die Verwendung von tierischen Fetten oder Kakaoschalen verbietet. Otto Reiche schließlich baut ab 1870 in Dresden-Plauen die größte Fabrik in Europa für Gebäck- und Schokoladenformen auf und erfindet für die Firma Stollwerk einen Schokoladenautomaten. Die Theegarten PacTec in Niedersedlitz ist heute noch Weltmarktführer als Hersteller von Verpackungsmaschinen für die Süßwarenindustrie und die Hamburg-Dresdner-Maschinenfabriken aus Niedersedlitz sind weltweit bekannter Hersteller von Maschinen zur Verarbeitung roher Kakaobohnen.
Vivien Rücker, die übrigens auf Edelbitterschoko mit Erdbeeren und Chili steht, will als Botschafterin der edler Süßigkeit jedenfalls viel dafür tun, Dresden als süßes Zentrum ins Gedächtnis zurückzuholen.
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