
Unser Dresden, eine Stadt voller Geschichte, gesegnet mit einer bunten Vielfalt an Kunst und Kultur. Hinter der historischen Fassade und dem kulturellen Glanz verbirgt sich jedoch auch bei vielen Menschen ein wachsendes Gefühl der Leere. Es ist die Vereinsamung, die immer mehr Menschen betrifft – leise, schleichend und dennoch tiefgreifend. Was früher spontane Begegnungen, Gemeinschaftsleben und Nähe bedeutete, ist heute oft nur noch Oberflächlichkeit, Distanz, Egoismus, gern gepaart mit einer digitalen Fassade.
Besonders deutlich wird dieser Wandel der Zwischenmenschlichkeit in der Nacht. Die Nacht hatte immer noch ein kleines Stück mehr Freiheit, denn Clubs, Bars, Konzerte und verrauchte Kneipen galten als Gegenwelt zum strukturierten Alltag. Hier durfte man laut sein, jemanden berühren, sich auch einmal komplett selbst verlieren. Begegnungen entstanden einfach in dem Moment – ungeplant, roh aber eben menschlich. Heute hat sich dieses Bild leider sehr stark gewandelt. Das Nachtleben existiert noch, ja – doch es hat sich auch verändert. Es ist leiser, berechneter, technokratischer, gewinnorientierter und natürlich auch digitaler geworden. Wo früher das Leben pulsierte, bemerkt man inzwischen viel soziale Zurückhaltung.
Urbanes Leben? Viele fremde Nachbarn!
„Wir Dresdner“, das klingt doch irgendwie total gut, nicht wahr!? Doch wo sind „uns Dresdnern“ denn Attribute wie Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Loyalität, Verantwortungsbewusstsein, Freundlichkeit, Optimismus, Geduld, Mut und Empathie abhandengekommen? Heute findet man nur noch wenig Verbundenheit und Zusammenhalt, was in Großstädten besonders gut sichtbar wird. Obwohl tausende Menschen auf engem Raum leben, fühlen sich viele einsamer denn je. Die Nähe im physischen Raum steht im krassen Gegensatz zur sozialen Distanz. Nachbarn grüßen sich kaum noch und kennen sich gar nicht. Ganze Familien zerreißt es, auf Grund sozialer Spannungen, Freundschaften werden verstärkt nur noch zweckorientiert ausgerichtet. Wer sich nicht permanent selbst inszeniert, verliert an gesellschaftlicher Relevanz. Der gesellschaftliche Wert eines Menschen wird zunehmend an dessen „Sichtbarkeit“, nicht etwa an dessen Loyalität, seiner Hilfsbereitschaft oder vielleicht auch an seiner Witzigkeit bemessen.

Social Media mit eingeschränktem User-Kreis im abgeschirmten Space „Dorfplatz“ Bildquelle: Adina Voicu via pixabay
….erkennt man immer auch am Umgang mit ihren Alten
Ältere Menschen werden zunehmend von ihren Familien regelrecht vergessen oder man hat eben leider keine Zeit mehr für die Senioren, was das „Wachstum“ im Kontext „Einsamkeit im Alter“ erst dynamisiert hat. Statt Fürsorge einer generationsübergreifenden Gemeinschaft, erleben alte Menschen häufig den Rückzug, ihrer Familienangehörigen. Man findet oft für Oma und Opa nicht einmal mehr die Zeit für einen small talk. Dabei sind es die Weisen unserer Gesellschaft, die im vergangenen Jahrhundert zudem ganz erheblichen Belastungen ausgesetzt waren, welche uns Respekt zollen lassen sollten. Unsere Großeltern, die viel gesehen und erlebt haben, die entsprechend vielschichtig, interessante Dinge aus ihrem Leben zu berichten haben. Doch leider ist der Informationsaustausch zwischen Jung und Alt in den letzten Jahrzehnten fast zum Erliegen gekommen, was auch den Verlust eines großen Wissens- und Erfahrungsschatzes für unsere Gesellschaft bedeutet. Was einmal als selbstverständlich galt, Verantwortung füreinander zu übernehmen, wird heute vermehrt als unbequeme Last betrachtet.
„Digitale Nähe“ als Ersatz echten Miteinanders
Die Suche nach Liebe, nach Zärtlichkeit und Erotik ist für viele immer noch ein großer Motivator, sich ins Nachtleben zu stürzen. Doch auch hier zeichnet sich ein Wandel ab. Während noch vor wenigen Jahren Begegnungen durch Zufall entstanden, ziehen viele Leute heute ganz klare Linien. Der One-Night-Stand ist zur Ausnahme geworden, es gibt klare Regeln für die Nähe und die Distanz, für Wunsch und Angebot. Die Möglichkeit, Kontakte über digitale Plattformen zu knüpfen, ist seit Jahren, vor allem unter den 20-40 Jährigen, auch in Dresden, gängige Praxis. Doch aus dieser Art der Kontaktaufnahme werden keine Freundschaften oder gar eine feste Partnerschaft entstehen. Kommunikation wird heute gefiltert, geplant, kontrolliert und optimiert. Der Mensch wird zur abstrahierten Version seiner selbst. Emotionale Risiken werden minimiert – damit allerdings auch jede Chancen auf wirkliche Nähe. Das Smartphone ist zu unserem ständigen Begleiter geworden. Es ersetzt den Clubbesuch, das vertraute Gespräch, das geteilte Schweigen auf der nächtlichen Straße. Es bietet Ablenkung – aber keine Zuwendung. Immer mehr Menschen verbringen ihre Abende allein, eingewoben in digitalen Welten. Und selbst wenn sie sich begegnen, scheint oft eine unsichtbare Wand zwischen ihnen allen zu stehen.

Bildquelle: Andrii Kordis via pixabay
Eine Gesellschaft, in der die Selbstverwirklichung über allem steht. Der Drang zur Selbstoptimierung und zur Selbstinszenierung so stark ist, wie es kaum in einer Generation vor uns bemerken. Doch während das Ego wächst, schrumpft das Wir. Beziehungen erden eher projektartig, flüchtig und funktional betrieben. Die aktuelle Liaison wird zur Projektionsfläche für eigene Wünsche. Doch tiefe Gefühle brauchen Zeit, Geduld, Hingabe, also all das, was im schnellen Takt des digitalen Zeitalters nicht vorgesehen ist.
Was ist geblieben von der Nacht?
Vielleicht eine sehnliche Erinnerung an eine Zeit, in welcher echte Nähe unter uns Dresdnern ganz normal war – spontan, unperfekt und ehrlich. Vielleicht aber auch eine Mahnung an uns alle, dass wir als Gesellschaft etwas Wertvolles verloren hätten, wenn wir Begegnungen nur noch durch vorherige Auswahl zuließen, Intimitäten auf dem Parkplatz mit Liebe verwechselten oder Zuwendung durch reine Zweckmäßigkeit ersetzten. Doch es ist nicht zu spät. Die Nacht gehört immer noch uns, also liegt es auch an uns und vielleicht beginnt Veränderung eben nicht im Großen.
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