Dresden war im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Schoko-Herstellung. Das Dresdner Schokoladenmädchen will diese Industriegeschichte wieder lebendig werden lassen.
Was braucht das Dresdner Schokoladenmädchen® außer seiner bezaubernden dunkelbraunen und mit zahlreichen Pralinés verzierten Robe? Es braucht natürlich eine eigene Schokolade!
Über zwei Jahre haben Ronny Kürschner, Inhaber der Marke „Dresdner Schokoladenmädchen®“, und Lizenznehmerin Dr. Peggy Jungke an der Idee getüftelt und nun liegen fünf Sorten in exklusiver Verpackung auf dem Tisch: Vollmilch, Vollmilch mit Nuss, Edelbitter, Wildkräuter-Aronia-Edelbitter und eine weiße Tafel mit Blaubeere-Rote Beete. Eine sechste Sorte kommt jährlich neu dazu und wird stets vom amtierenden Schokoladenmädchen kreiert. Für Vivien Rücker, das seit Pfingsten amtierende 6. Schokoladenmädchen, kam dafür nur „Edelbitter Erdbeere & Chili“ in Frage.
Hergestellt werden die Tafeln in einer kleinen sächsischen Manufaktur, mehr will Ronny Kürschner nicht verraten. Zum Preis von 7,99 und 8,49 Euro sind die 85-Gramm-Tafeln ab 1. November online und im Rewe bei Galerie auf der Prager Straße erhältlich. „Mit Camondas und der Touristinformation Dresden sind wir aktuell noch im Gespräch“, so Kürschner. In Discountern werde man die Bioschokolade allerdings vergeblich suchen.
Verpackung erzählt Schokoladen-Geschichte
Nicht nur die eigene Marke soll ein besonderes Zeichen der Schoko-Botschafterin sein, sondern auch die Verpackung. „Jede Sorte erzählt ein Stück Industriegeschichte“, sagt Dr. Peggy Jungke. Denn im 19. Jahrhundert galt Dresden mit 40 namhaften Schokoladenproduzenten als bedeutendes Zentrum der Süßwarenherstellung. Aber auch Hersteller von Verpackungsmaschinen und Schokoladenformen mit internationalem Ansehen waren hier ansässig. „Genau dieses Wissen wollen wir neu erzählen“, sagt Peggy Jungke.
Und so findet sich auf denBanderolen der fünf Sorten jeweils ein bedeutender Schokohersteller früherer Zeiten. Aus historischen Fotos entstanden in Zusammenarbeit mit Studenten des Studiengangs Grafikdesig Scree- und Printmedia der Fachhochschule Dresden moderne Interpretationen im Pop-Art-Stile. Auf der Innenseite finden sich das jeweilige Originalfoto und viele Informationen zum Unternehmen, seiner Geschichte und Bedeutung für Dresdens süße Vergangenheit.

Nein, es waren nicht die Schweizer
Stichwort Vergangenheit: Auch wenn die Schweizer ihren Eidgenossen Daniel Peter dafür feiern, 1875 als Erster die Milchschokolade hergestellt zu haben, muss laut und deutlich klargestellt werden: Nein, es waren Gottfried Heinrich Christoph Jordan und August Friedrich Christian Timaeus aus Dresden, die kulinarische Geschichte schrieben.
Schon 30 Jahre früher, nämlich am 23. Mai 1839, priesen die beiden Unternehmer im „Dresdner Stadtanzeiger“ ihr Produkt wie folgt an: „Chocolade mit Eselsmilch präpariert, ohne Gewürz, sowohl zum Kochen in 5/5 Tafeln pr. Pfd, als auch zum Rohessen in 24 Täfelchen pr. Pfd., haben wir anfertigen lassen und verkaufen solche à 1 Thaler pr. Pfd.“. Zwar bestand ihre Schokolade damals aus 60 Prozent Kakao, 30 Prozent Zucker und zehn Prozent Eselsmilch, war deutlich grobkörniger, dunkler und herber als heutige Milchschokolade – dennoch waren Jordan und Timaeus die Ersten, die jene Masse in kleine Täfelchen pressten und auf den Markt brachten.
Danach ging es eigentlich Schlag auf Schlag. 1838 gründet August Ferdinand Lobeck in Dresden seine Schokoladenfabrik Lobeck & Co., ein Jahr später meldete er seine Erfindung, den löslich entölten Kakao, zum Patent an. 1849 folgen Carl Christian Petzold und Ernst Louis Aulhorn mit ihrer Fabrik Petzold & Aulhorn (Marke Pea). Otto Rüger gesellt sich 1858 in die Riege der Schokofabrikanten, übernimmt die Lobecksche Schokoladenmühle im Lockwitzgrund und 1885 die Hintermühle in Lockwitz.
1870 tritt ein gewisser Heinrich Vogel in die Zuckerfabrik seines Onkels ein und firmiert fortan unter Schokoladenfabrik Hartwig & Vogel. Allein dieses Unternehmen beschäftigt um die Jahrhundertwende rund 1.200 Mitarbeiter und gelangt mit der Marke Tell (die mit dem Tell-Apfel ab 1928) und dem ersten deutschen rein-entölten Kakao zu großer Bekanntheit.
Einmal im Gründungsrausch, kommen die Schokofabriken Johann Gottlieb Kynacht (1886), Riedel & Engelmann (1888), Gerling & Rockstroh (1891) dazu. Sie alle tragen dazu bei, dass Dresden um 1910 an der Spitze der deutschen Schokoladenproduktion steht.
Süßes war das wirtschaftliche Herz der Stadt
Rund 7.000 Arbeitskräfte standen vor dem Ersten Weltkrieg in der 28 hiesigen Schoko- und Zuckerwarenindustrie in Lohn und Brot. Das entsprach immerhin einem Fünftel aller Beschäftigten dieser Branche im gesamten Deutschen Reich.
Doch damit nicht genug. Auch Russisch Brot ist bekanntermaßen eine Dresdner Erfindung von Ferdinand Wilhelm Hanke (1844), ebenso die Dominosteine von Herbert Wendler (1936). Der „Dresdner Verband der Schokoladenfabrikanten“ gründet sich 1877 mit dem Ziel eines Reinheitsgebotes für Schokolade, welches zwei Jahre später in Kraft tritt und die Verwendung von tierischen Fetten oder Kakaoschalen verbietet. Otto Reiche schließlich baut ab 1870 in Dresden-Plauen die größte Fabrik in Europa für Gebäck- und Schokoladenformen auf und erfindet für die Firma Stollwerk einen Schokoladenautomaten. Die Theegarten PacTec in Niedersedlitz ist heute noch Weltmarktführer als Hersteller von Verpackungsmaschinen für die Süßwarenindustrie und die Hamburg-Dresdner-Maschinenfabriken aus Niedersedlitz sind weltweit bekannter Hersteller von Maschinen zur Verarbeitung roher Kakaobohnen. Selbst die Lila Kuh als Werbegag ist eine sächsische Erfindung aus Dehlitzsch. Da die Schokofabrik Böhme ihre Idee aber nicht unter Markenschutz stellte, konnte sich Konkurrent Suchard die lilafarbene Kuh schnappen und ab 1972 ins (West-)Fernsehen bringen.
Übrigens: Für die Präsentation ihrer exklusiven Schokoladenlinie wählte das 6. Dresdner Schokoladenmädchen Vivien einen historischen Ort – auf der heutigen Lili-Elbe-Straße 7 befand sich früher die Firma Bruno Clauß, hier soll sogar die Blockschokolade erfunden worden sein.
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