Es ist wie im Märchen, als aus Aschenputtel eine bezaubernde Schönheit wurde: Nach über einem Vierteljahrhundert Bautätigkeit hat sich die ehemalige Schlosskapelle im Dresdner Residenzschloss in mehreren Metamorphosen zu einem baulichen Juwel verwandelt, das ab sofort wieder öffentlich zugänglich ist.
Weltweit einzigartige Rekonstruktion
Was 1988 als schlichter Rohbau begann, ist heute ein architektonisches Meisterwerk von unvergleichlicher Schönheit. Über Sandstein, Glas und Beton spannt sich scheinbar schwerelos das rekonstruierte Schlingrippengewölbe. Es entstand zwischen 2010 und 2013 in einem weltweit einmaligen Rekonstruktionsprozess. Denn für diese Art Gewölbe gab es keinerlei Baupläne mehr. Zwar existieren noch einige Grundrisszeichnungen und Stiche sowie einzelne Gewölbe aus der Zeit, die für die Forschungen herangezogen werden konnten.

Die wesentliche Grundlage für die Wiederherstellung bildete jedoch lediglich ein Kupferstich des Künstlers David Conrad aus einem Gesangbuch von 1676. Nur anhand dessen gelang es den Fachleuten erstmals, ein mittelalterliches Schlingrippengewölbe nach originaler Technik neu zu errichten – mit handgestrichenen Ziegeln und doppelt gekrümmten Sandsteinrippen. Erst damit bekam die Schlosskapelle ihre prägende spätgotische Raumstruktur zurück – und fast 500 Jahre nach der ursprünglichen Einweihung der Kapelle wurde damit ein verlorenes Kapitel alter sächsischer Baukunst wieder lebendig.
Doch damit nicht genug: Auch die Orgelempore und die Musikerempore auf der Ostseite wurden rekonstruiert, ebenso die zwei übereinanderliegenden Westemporen sowie die Bogenarchitektur der Nord- und Südseite. Die Musikerempore hatte übrigens Heinrich Schütz einbauen lassen – als Platz für zusätzliche Orgeln sowie für weitere Musiker. Die setzte er gern an unterschiedlichen Positionen im Raum ein, um eindrucksvolle Echo- und Raumwirkungen zu erzielen.
Aus der Geschichte der Schlosskapelle
Es war Kurfürst Moritz von Sachsen, der die Schlosskapelle um 1550 als Kirche und Musikstätte im Nordflügel des Dresdner Residenzschlosses errichten ließ. Als Vorbild diente dem Kurfürsten die Torgauer Schlosskapelle, die sechs Jahre zuvor von Martin Luther eingeweiht worden war.
Geweiht wurde die Schlosskapelle 1556. Als Hofkapelle eines lutherischen Kurfürsten war sie ein zentrales Symbol der Reformation und zugleich ein Raum höchster musikalischer Bedeutung. Entsprechend aufwendig und kunsthistorisch wertvoll fiel ihre Ausstattung aus, wie jener überlieferte Kupferstich von 1676 zeigt. Dass die Schlosskapelle als Wiege der Sächsischen Staatskapelle gesehen werden kann, ist ebenfalls ein Verdienst von Kurfürst Moritz. Denn für seinen wunderschönen Bau ließ er von überall her Musiker anwerben.
Leider war es rund 60 Jahre später schon wieder vorbei mit all der Pracht. 1737 veranlasste die Kurfürstin und Königin Maria Josepha die Entwidmung der Schlosskapelle. Statt sakraler Nutzung zogen königliche Verwaltungsbeamte in den Raum ein, der für sie nicht nur räumlich neu aufgeteilt, sondern auch gleich von allen Inneneinbauten befreit wurde – inklusive der prächtigen Gewölbedecke, die man vollständig abbrach.
Die Geschichte vom Schönen Tor
Auch der Eingang zur Schlosskapelle, das berühmte »Schöne Tor«, ist in der europäischen Kunstgeschichte einmalig und ein bedeutendes Zeugnis der Renaissance. Giovanni Maria da Padova schuf den Entwurf, der um 1555 vom Dresdner Bildhauer Hans Walther II. zusammen mit italienischen Handwerkern ausgeführt wurde. Nach der Entwidmung der Schlosskapelle 1737 wurde das Schöne Tor abgebaut und erlebte eine wechselvolle Geschichte mit Stationen in der Sophienkirche und am Jüdenhof des Johanneums. Erst im Zuge des Wiederaufbaus kehrte es aufwendig restauriert 2009 an seinen ursprünglichen Platz im Dresdner Residenzschloss zurück.
Tag der offenen Schlosskapelle
Wer sich vom einstigen Prunk und moderner Baukunst überzeugen will, ist am 15. November von 10 bis 16.30 Uhr zum Tag der offenen Schlosskapelle eingeladen. Projektbeteiligte geben vor Ort Einblicke in Bau, Architektur und Musik. Eintritt wird nicht erhoben, allerdings ist mit Wartezeiten zu rechnen. Die Schlosskapelle wird künftig als multifunktionaler Veranstaltungsraum für bis zu 270 Besucher genutzt werden. Sie kann ab 19. November im Rahmen öffentlicher Führungen immer mittwochs bis freitags 15 Uhr und am Wochenende 11.30 und 15 Uhr besucht werden.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar