Am 27. April finden in Dresden die ersten Jugendweihefeiern 2024 statt. Doch wie alt ist eigentlich das Ritual der Aufnahme ins Erwachsenenleben?
„Alle Kinder der Werksangehörigen des VEB Vereinigte Fleisch- und Wurstwaren, die 1964 die Jugendweihe erhalten, unternehmen am Nachmittag des 31. Mai einen Rundflug über Dresden.“ Der Fünfzeiler in der Sächsischen Zeitung vor 60 Jahren, am 12. Mai 1964, lädt geradezu zur Zeitreise ein. Den VEB gibt‘s längst nicht mehr. Rundflüge über Dresden zur Jugendweihe für den Mitarbeiter-Nachwuchs? Heute unvorstellbar.
Was dagegen geblieben ist: Nach wie vor feiern vor allem im deutschen Osten viele Achtklässler mit der Jugendweihe den Übergang vom Kinder- ins Erwachsenenleben. Nach wie vor tragen dann die meisten jungen Damen ihr erstes langes Kleid und wie vor 40 oder 50 Jahren steht ein Wunsch ganz oben auf der Geschenke-Liste: Geld. Das wird natürlich nicht mehr für den ersten eigenen Stern-Rekorder R160 aus dem VEB Kombinat Sternradio Berlin ausgegeben – was theoretisch möglich wäre, denn das Sehnsuchtsgerät eines jeden DDR-Jugendweihlings ist nämlich in diversen Onlineportalen immer noch und einsatzbereit zu haben. Heute heißt es sparen auf den Führerschein, einen eigenen Computer oder die Jugendweihe-Abschlussfahrt nach Paris.
Fast 40 Prozent aller Achtklässler feiern Jugendweihe
Das lange Kleid, der elegante Hosenanzug, die Hochsteckfrisur, das schicke Sakko, vielleicht sogar die erste Krawatte – ab 27. April gehört das für genau 2.863 Achtklässler in Dresden und Radebeul zum Ritual beim Eintritt in den neuen Lebensabschnitt. Bis 15. Juni wird es in der Comödie, im Boulevardtheater und in den Landesbühnen Sachsen 39 Jugendweihefeiern geben. Organisiert werden sie vom Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V., der seinen Sitz in Dresden hat. „Wir gestalten die Feiern sachsenweit. In diesem Jahr werden rund 12.700 Jugendliche daran teilnehmen“, erklärt Vereinssprecherin Carla Hentschel.
Jugendweihe ist keine Erfindung der DDR
Initiationsfeste und Weiherituale für Heranwachsende gab es schon bei den Naturvölkern. Es war der humanistische Pfarrer und Demokrat Eduard Baltzer aus Nordhausen, der 1852 den Begriff „Jugendweihe“ prägte. Doch schon um 1835 entstanden erste freireligiöse Gemeinden, die Weihefeiern für die schulentlassene Jugend und einen darauf vorbereitenden Unterricht anboten.
Politisch wurde die Jugendweihe am 14. April 1889, als in Berlin die erste Jugendweihefeier mit proletarischem Charakter stattfand. 37 Mädchen und Jungen gelobten damals im Beisein von 1.500 Gästen, für den politischen und sozialen Fortschritt einzutreten. Das wiederum war den Machthabern ab 1933 zu viel des Guten, Jugendweihen wurden verboten. Erst 1946 wurde diese Tradition wieder aufgegriffen – und zwar deutschlandweit. Allerdings nur bis 1950, denn da stieg die junge DDR aus, wollte etwas Neues kreieren. Der freidenkerische Ansatz war der SED zu suspekt. Das Neue trat im November 1954 als „Zentraler Ausschuss für Jugendweihe in der DDR“ mit zehn Themen zur Vorbereitung der Jugendlichen auf den Festakt sowie dem Wortlaut des ersten Gelöbnisses auf den Plan.
Grundlegend anders, weil ideologiebefreit
Zwei Dinge haben sich dann doch grundlegend geändert: Der verpflichtende Vorbereitungsunterricht auf die Weihe und das feierliche Gelöbnis der 14-Jährigen als Bekenntnis zum sozialistischen Staat sind passé. Heute ist alles freiwillig und fern jeglicher politischen Ausrichtung. Jugendweihe ist das, was es sein sollte: ein Fest der Familie zum Eintritt des Nachwuchses in die Welt der Erwachsenen.
Auf die können sich die Kids allerdings auch heute noch vorbereiten. Rund 100 (freiwillige) Kurse und Workshops sind im Heft „Navigator“ des Verbandes aufgeführt. Und statt „Weltall, Erde, Mensch“, „Der Sozialismus Deine Welt“ und „Vom Sinn unseres Lebens“ hat der Verband seit 1990 insgesamt elf ideologiebefreite Bücher herausgegeben. Der Titel des neuesten Buches trägt den Namen im Programm: (K)ein Handbuch zum Erwachsenwerden. (Foto Textmitte: Sächs. Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V.)
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