„Heute lernen wir, wie man einen Satz über die Zukunft schreibt“, verkündet Kathleen Dilg. Die am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen in Pieschen angestellte Lehrerin unterrichtet Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Aufmerksam folgen ihr 15 dunkle Augenpaare. Sie gehören Mittzwanzigern, zumeist Männern. Eine junge Frau ist darunter, sie sitzt mit ihrem Ehemann in der ersten Reihe, will Zahnärztin werden. „Der neue Kurs beginnt morgen“, schreiben alle in ihren Block.
So einfach ist aber nicht. Den DaZ-Kurs, in dem Oberbürgermeister Dirk Hilbert an diesem Montagmorgen hospitiert, müssen ab Sommer alle bis auf zwei Schüler vorzeitig verlassen. Nach einer neuen Regelung werden die 30-Wochenstunden-Kurse nur noch für Minderjährige gefördert. Als Hilbert die Anwesenden nach ihren Wünschen fragt, antwortet ein Syrer: „Ich würde gern eine normale Schule besuchen, um mein Abitur zu machen, ich möchte Arzt werden.“
Dolmetscherin und Lokführerin
Eine junge Afghanin steckt den Kopf durch die Tür, sie kommt mehr als fünf Minuten zu spät und muss nun draußen warten. Die 26-jährige Roghaye lebt seit zwei Jahren in Deutschland, hat Abitur und eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche. Sie möchte Erzieherin werden und später Dolmetscherin studieren. Freimütig erzählt die Muslima von ihrer Ehe ohne Trauschein, zeigt ein Bild am Smartphone von der fünfjährigen Tochter. „Zu Hause hätte ich heiraten und das Kopftuch tragen müssen.“
Saida hingegen hat ihres traditionell um das hübsche, sorgsam geschminkte Gesicht gebunden. Auch sie wartet vor der Tür, ist aber entschuldigt – wegen morgendlicher Übelkeit. Die 26-jährige Somalierin möchte Lokführerin werden. Obwohl es keine Eisenbahn gibt in dem afrikanischen Land, wo Ehefrauen überdies zu den Kindern und an den Herd gehören. Saida lächelt schwach. Am 5. Juni beginnt der Ramadan, dann wird sie nicht die Einzige sein, deren Kreislauf wackelt. Islamische Länder geben in dem Monat Schulferien.
Inzwischen verspricht Dirk Hilbert drinnen: „Ich will mich bemühen, dass es für Sie alle weitergeht mit dem Kurs.“ Doch selbst wenn er Erfolg hätte bei der zuständigen Ministerin, blieben da immer noch die beträchtlichen Niveauunterschiede unter den Schülern, sagt Kathleen Dilg. „Die wenigsten werden es bis zum Berufsabschluss schaffen.“ Um die sozialen Probleme aufzufangen, werden ihr zwei Beratungsstunden pro Woche zugestanden, ein Tropfen auf den heißen Stein. „Im Grunde bräuchten wir genauso unterstützende Sozialpädagogen im Unterricht wie das Berufsvorbereitende Jahr“, sagt Schulleiterin Manuela Rühle und wirkt ein wenig resigniert ob des berechtigten Wunsches – ganz im Gegensatz zu ihren hoffnungsfrohen Kursanten, die die Chance nutzen, in der Pause ein Selfie mit dem Rathausschef zu machen. Una Giesecke
Hinterlasse jetzt einen Kommentar