Man kann Schülern, die den Unterricht nicht regelmäßig besuchen, nicht unterstellen, dass sie faul sind. Die Probleme sitzen meist tiefer. Doch diese rauszufinden, dass ist meistens nicht so einfach. In Dresden soll sich das nun bald ändern.
Ist es wirklich weit verbreitet die Schule zu schwänzen?
Montagmorgen, draußen ist es noch dunkel. Die Versuchung, die erste Stunde sausen zu lassen, ist groß. Tatsächlich macht das etwa die Hälfte aller Schüler zwischen
der fünften und zehnten Klasse einmal, schätzt das Jugendamt. Das war es dann aber auch. Nur bei drei bis fünf Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs nehme das Schuleschwänzen extremere Formen an. Genaue Zahlen gibt es bislang nicht, da keine spezielle Statistik nur Schulverweigerer erfasst. Ein weiteres Problem: Werden immer
wieder Entschuldigungsschreiben der Eltern oder Arzt-Atteste vorgelegt, kann das auch auf ein tieferes Problem mit der Schule hindeuten. Nachweisen lässt sich dies aber nur schwer, wenn Familien die Schule nicht mit einbeziehen.
Was droht Schülern, wenn sie immer wieder dem Unterricht fernbleiben?
Im schlimmsten Fall wird gegen die Familien ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Schulpflichtverletzung eingeleitet. Das passiert, wenn ein Kind fünf Tage unentschuldigt gefehlt hat. Im vergangenen Jahr kam das 1 609-mal vor. In fast der Hälfte aller Fälle kamen Berufsschüler nicht zum Unterricht, gefolgt von Oberschülern,
hauptsächlich in den achten und neunten Klassen. Nach Anhörung der Familien wurden 573 Fälle weiterverfolgt, teilweise bis hin zu Bußgeldern. Allerdings gibt es Städte,
in denen das Problem gravierender ist. So hat Leipzig im Jahr 2016 über 2.160 Verfahren abgeschlossen.
Warum sträuben sich Jugendliche überhaupt, die Schule zu besuchen?
Schwierigkeiten beim Schließen von Freundschaften, die Trennung der Eltern, fehlendes Unrechtsverständnis, Mobbing, Aggression als Problemlösungsstrategie, fehlende Ausdauer: Die Liste des Jugendamtes, die Eigenschaften betroffener Kinder und Jugendlicher benennt, ist lang. Ein Altersgipfel, bei dem sich Schulverweigerung erstmals manifestieren kann, sehen die Experten der Neustädter Kinderklinik bei sechs Jahren, wenn die Kinder in die Schule kommen. Sie fürchteten sich unter anderem davor, von zu Hause weg zu sein, ist eine Erkenntnis. Einen weiteren Schub gebe es mit 13 Jahren, wenn die Teenager auf Realschule oder Gymnasium wechseln, sich von Freunden trennen und neue finden müssen und obendrein noch in die Pubertät kommen. Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und sogar Übelkeit sind Folgen – also ganz reale Symptome.
Was ist bisher für die Motivation der Schüler getan worden?
Wenn bereits ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurde, wird die Jugendgerichtshilfe aktiv. Sie lädt den Schüler und seine Eltern zu einem Gespräch ein. Dabei kann das Verfahren auch beendet werden, wenn der Jugendliche zum Beispiel ein Angebot des Jugendberatungscenters annimmt. Dort können die Betroffenen über persönliche Schwierigkeiten sprechen und zusammen mit den Beratern eine Strategie erarbeiten, um zurück in die Schule zu finden. Eine Anlaufstelle, an die sich die Familien selbst wenden müssen, ist die psychosomatische Abteilung der Neustädter Kinderklinik. Dort sind im Eröffnungsjahr 2015 bereits 35 Kinder und Jugendliche wegen Schulverweigerung behandelt worden. In einer sechswöchigen Therapie versuchen Ärzte und Psychotherapeuten herauszufinden, warum sich die Kinder der Schule verweigern. Anschließend lernen sie, wieder mit den täglichen Ritualen klarzukommen: pünktliches Aufstehen und Unterricht. Ein weiteres Angebot ist das produktive Lernen. Daran nehmen Jugendliche teil, deren Schulabschluss gefährdet ist, auch durch ständiges Schwänzen. Sie lernen zwei Wochentage in der Schule und arbeiten drei Wochentage in Betrieben, die sie sich selbst aussuchen.
Was soll noch getan werden für Schüler mit solchen Problemen?
Die Stadt ist derzeit dabei, ein Konzept gegen Schulabsentismus, wie es in der Fachsprache heißt, auf den Weg zu bringen. Ein Punkt: Vor allem an die Berufsschulzentren sollen mehr Sozialarbeiter geschickt werden. Ihre Aufgabe ist es, zu helfen, individuelle Probleme zu bewältigen, eine Lebens- und Zukunftsperspektive zu entwickeln und das Klassen- und Schulklima zu verbessern. An Grundschulen sind Familienklassenzimmer vorgesehen. Dabei arbeiten mehrere Familien mit Unterstützung von Lehrern und Familientherapeuten an verschiedenen Problemen ihrer Kinder. Das können auffälliges Verhalten oder mangelnde Konzentration sein. Geplant ist außerdem die Einrichtung einer Fachstelle, die Eltern und Schüler, aber auch Schulen direkt beraten soll. (Sandro Rahrisch, DAWO)
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