Typisch Neustadt: Er ist so bunt wie die besprühten Wände ringsum und fällt damit kaum auf. Erst wenn es dunkel wird und Licht aus den vergitterten Fenstern dringt, verrät der Container sein Innenleben. Im Hof an der Louisenstraße zwischen Katy’s Garage und Toscana lockt einmal in der Woche eine warme Suppe junge Leute an. Wie soll man sie nennen: Minderjährige, deren Freizeit sich größtenteils im öffentlichen Raum abspielt, die Probleme haben zu Hause oder gar kein Zuhause, die während in der „Contine“ Freunde treffen.
Mobile Straßensozialarbeit, im Fachjargon Streetwork, heißt es jedenfalls, was Sascha und Fabian hier tun.
Der eine schenkt im baulüfterbeheizten Raum dampfende Suppe aus, der andere sitzt mit am Tisch und spielt mit Werwolf, ein Gesellschaftsspiel. Die beiden Männer sind 24 und 30 Jahre alt, tragen Dreadlocks und Wollmütze und sind angestellt bei der Diakonie Stadtmission Dresden. Sie wissen, wie es den Jungs und Mädchen geht. Im Sommer sind die studierten Sozialpädagogen genau wie ihre 14- bis 27-jährige Zielgruppe draußen unterwegs, immer den Rucksack voller Eistee, Kekse und Kaffeekannen. „Wir machen den Kids sinnvolle Freizeitangebote und versuchen, eine Beziehung aufzubauen.“
Hilfe zur Selbsthilfe
Warum sie das tun? Sascha schenkt einem, dem die Tattoos durch die Löcher in der Kleidung gucken, Tee ein. Wie lief’s im Jobcenter? Eher beiläufig fallen Wortfetzen wie „285 Euro Nachzahlung“, „Kaution“, „hab ich nicht“. Darum also: Dem Wohlfahrtsverband geht um mehr als Soforthilfe in Form einer warmen Mahlzeit in der Woche. Nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe sorgen die zwei Streetworker für Wohnungslosenhilfe, geben Unterstützung im Formulare-Ausfüllen, kümmern sich um Themen wie Drogenkonsum und Suchtprävention. „MAO-Hemmer“, „Antidepressiva“, tröpfelt das Gespräch weiter. Mehr als eine kurze Beratung ist oft nicht drin, die Tür geht auf und zu. „Vollmacht für Wohnungsübergabe“, sagt Sascha und begrüßt den nächsten, einen gefühlt 40-Jährigen im zerrissenen Lodenmantel, dessen Hund die Beine ringsum beschnüffelt.
„Wir schicken niemanden weg“, sagt Fabian und zählt wie aus der Pistole die Grundsätze seines Jobs auf – anonym, akzeptierend, verschwiegen, freiwillig. „Wir geben Tipps, wohin man sich wenden kann, unsere Hauptklientel bleiben aber die Minderjährigen.“
Nur ein Pärchen scheint geringfügig älter, er mit Basecap und Lederjacke, sie trägt Schüttelfrisur und Tattoos, sie stecken die Köpfe zusammen, als könnten sie es sonst nirgends tun. Ein 27-Jähriger indes sitzt schon die ganze Zeit hier. Neben all den punkig aufgemöbelten, blaubeschopften Schülergesichtern am Mädchenstammtisch wirkt er unauffällig gekleidet. Und er sieht richtig zufrieden aus. Joseph hat gekocht.
Ehrenamt mit Spaßfaktor
Der junge Mann ist zum ersten Mal hier. Im Neustadt-Blog hatte er den Aufruf gelesen, dass Ehrenamtliche gesucht werden. „Darauf hab ich Bock, ich koche gern und hab grad Zeit“, begründet er seinen selbstlosen Einsatz. Mittags war er mit Sascha einkaufen, dann haben sie geschnipselt und den Riesensuppentopf auf den Starkstromkocher gestellt. Was es gibt? „Klassischen Linseneintopf, aber vegan mit Räuchertofu.“
Um zwei stand schon der erste Junge vor der Tür, obwohl es erst zwei Stunden später losgeht, um fünf war die Hälfte der 40 Portionen verspeist. Spricht für Josephs Kochkünste. „Ich bin grad auf ALG I und such was, das mir Spaß macht: was Soziales mit Menschen, die anders drauf sind. Grad hab ich mit einem Mädchen gequatscht über die Freie Aktivschule.“ Typisch Neustadt.
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