Prof. Steffen Marx gibt einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung nach den Ursachen, die am 11. September zum Einsturz der Carolabrücke führten.
Gab es Mängel an der Brücke, vor allem an Brückenzug C, die längst bekannt waren? Hat die Dresdner Stadtverwaltung Gutachten zum Zustand der Carolabrücke ignoriert oder gar in Schubladen verschwinden lassen? Hat sie damit den Einsturz billigend in Kauf genommen? Und hätte die Brücke längst gesperrt werden müssen, wie die BILD am 22. Oktober schlussfolgerte?
In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Presseberichte über ein Gutachten des Architekturbüros Leonhardt, Andrä und Partner, das nicht beachtet worden sei. Um die Vorwürfe zu überprüfen und die Diskussion zu versachlichen, hat das mit der Ursachenforschung des Teileinsturzes der Carolabrücke beauftragte unabhängige Büro von Prof. Steffen Marx im Auftrag von Oberbürgermeister Dirk Hilbert dazu eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben.
Eine Korrosionsart, die 1967 unbekannt war
Dieses Schreiben liegt seit 4. November auf dem Tisch des OB. Prof. Marx informiert darin über den aktuellen Stand der Ursachenforschung. Sein Fazit: Die Ursache ist „sehr wahrscheinlich Spannungsrisskorrosion der Spannglieder“. Weiter heißt es wörtlich: „Mittlerweile lässt sich die Hauptschadensursache sehr klar eingrenzen. Der Brückeneinsturz ist mit hoher Gewissheit auf ein Versagen des großen Kragarms über dem Pfeiler D zurückzuführen. Das Versagen des Querschnitts wurde sehr wahrscheinlich hauptsächlich durch so genannte Spannungsrisskorrosion der Spannglieder verursacht.“ Ein Kragarm ist ein überstehendes Trägerteil der Brücke, auf dem ein weiteres Brückenteil aufsitzen kann.
Die Ursachen für diese Korrosionsart sei bereits beim Bau der Brücke initiiert wurde und habe sich dann über viele Jahre im Inneren der Brücke unsichtbar von außen und weitgehend unabhängig von oberflächlichen Schadensbildern vollzog. „Die Spannungsrisskorrosion bei Spannstahl war zum Zeitpunkt des Baus unbekannt. Der verwendete Spannstahl zeigt jedoch nach heutiger Kenntnis eine außerordentlich hohe Gefährdung für diese Korrosionsform“, schreibt Prof. Marx in dem Gutachten.
Die einzige Möglichkeit, diesen Schädigungsprozess zu entdecken und sicher beurteilen zu können, ist aktuell eine sogenannte Schallemissionsmessung. Deswegen wurde nach dem Einsturz von Brückenzug C eine Messanlage im noch stehenden Brückenzug A installiert. Eine Installation in Brückenzug B ist zeitnah geplant.
Chloridwerte und Zustand der Bewehrungsstähle
Zu den Chloridwerten und dem Zustand der Bewehrungsstähle schreibt der Professor der Technischen Universität Dresden einordnend: „Es ist zutreffend, dass an einzelnen Messstellen zum Teil stark erhöhte Chloridwerte gemessen wurden, welche die zulässigen Werte deutlich überschreiten. An den betroffenen Stellen wurden konzentrierte Schäden an der Betonstahlbewehrung festgestellt, die auf chloridinduzierte Korrosion zurückzuführen sind. Aus den Schäden an der Betonstahlbewehrung ist keine Aussage über den Zustand des für die Tragfähigkeit maßgebenden Spannstahls möglich. Diese Aussage wurde im Gutachten gar nicht getroffen. Die Spannbewehrung wurde nicht untersucht.“
Die in einem Zeitungsartikel genannte „Gelenkdurchbiegung” sei zudem nicht kritisch gewesen. „Sie war bekannt, wurde intensiv untersucht und in der jüngeren Vergangenheit messtechnisch dauerüberwacht.“ Ebenso sei das Bauwerk fortlaufend bewertet und gepflegt worden. „Die Spannungsrisskorrosion war damit jedoch nicht zu erkennen.“ Vor diesem Hintergrund zieht Prof. Steffen Marx Lehren, die über die Carolabrücke weit hinausreichen: „Der Einsturz ohne Vorankündigung muss zu einer Überprüfung und Nachjustierung der Beurteilungsmethodik von Brücken mit ähnlicher Konstruktion und Bauzeit führen.“
Wie geht es weiter?
Im Rahmen dieser Ermittlung untersuchen die Experten um Prof. Marx alle möglichen Arbeitshypothesen und Ansätze. „Die gutachterlichen Untersuchungen laufen derzeit auf Hochtouren, benötigen aber für einen Zwischenbericht noch bis Dezember“, heißt es dazu aus der Stadt. „Dieser Bericht wird am 11. Dezember dem Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften sowie der Öffentlichkeit und den Medien vorgestellt.“
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