Scheidungsanwälte kennen es aus der Praxis seit Jahren: Nach Weihnachten ist der Bedarf an Beratung in Sachen Trennung am höchsten. Was eine gute Paarberatung vorbeugend oder begleitend leisten kann, stellte am 20. November Dr. Ingeborg Volger auf einem Fachtag in Dresden vor. Die Referentin vom Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung Berlin zeigte zunächst, dass die Latte oft viel zu hoch hängt.
Seit dem Siegeszug des romantischen Liebesideals sollen Beziehungen sowohl erotische Ansprüche als auch Sehnsüchte nach Willensübereinstimmung, Anerkennung, Achtung, Sicherheit und Schutz erfüllen. „Je weniger Bedürfnisse nach Annahme in der Eltern-Kind-Beziehung gestillt wurden, umso größer ist die Erwartung an den Partner oder die Hoffnung auf Heilung alter Verletzungen.“
Beziehungsfeindliches Leistungsdiktat
Die Idealisierung treffe auf eine Gesellschaft des Leistungsdiktats. „Die eigene oder gemeinsame Selbstoptimierung soll der Partner auch noch lustbetont, anregend, flexibel und spontan unterstützen.“ Angst vor Versagen, Ruhelosigkeit, Rückzug und chronische Außenorientierung seien Folgen des Zeitgeistes. Die krankmachende Erosion von Werten und Grenzen überschatte viele Beziehungen.
Gelebte Partnerschaft kann nicht widerspruchsfrei auf Traumwolke sieben gelingen. Denn Ehen und Paarbeziehungen wohnt sowohl der Konflikt zwischen dem Wunsch nach Bindung und dem nach Autonomie inne – als auch das Dilemma in der Partnerwahl, die unbewusst nach dem Vertrauten im Neuen sucht.
Solche Ambivalenzen seien aber Grundbedingungen des Lebens, die nicht zum Lösen oder Loslassen da seien, meint Volger. „Es ist normal, dass Liebe und Hass ausbalanciert werden müssen.“
Mängel aus der Urbeziehung auszugleichen sowie Heilung und Potenzialentfaltung beider immer wieder neu auszuhandeln, sei mühsam und schmerzhaft. Stattdessen geraten Paare nicht selten aus Bequemlichkeit in die Dynamik der Polarisierung, hegen untergründigen Groll und Aggressionen aufeinander, weil ihre Bedürfnisse zu kurz kommen und sie in erlernte Rollenmuster fallen, sie zementieren, statt sich daraus zu befreien.
So viele Krisen
Oft wird die schleichende Geschichte kleiner gegenseitiger Einschränkungen und Enttäuschungen erst bewusst, wenn einer das Vertrauen des anderenmissbraucht und fremdgeht. Oder wenn das erste Kind kommt. Wenn das gemeinsame Haus bezogen wird. Wenn die Kinder aus dem Haus sind. Wenn einer krank wird oder die Arbeit verliert. Wenn ein Elternteil stirbt. In solchen Krisen, wenn die Konstellation nicht wie bisher weitergelebt werden kann, treten Notreparaturen, wovon zuvor andere Prioritäten ablenkten, oder Frust, der sich nicht mehr kompensieren lässt, erneut zutage.
Statt sich nun – auf Datingportalen als Ghosting bekannt – einfach in Luft aufzulösen, könnten Partner im Verlauf einer professionellen Beratung ihre Fixierung auf die eigene Kampf- und Verteidigungsposition und die gegenseitigen Vorwürfe langsam aufgeben lernen und die Fähigkeit entwickeln, ein genaueres Bild von den eigenen Wünschen zu gewinnen.
Eigenverantwortung
Dies ist die Voraussetzung, die eigene Besonderheit als relativ und das Fremde am anderen ohne Angst als menschlich wahrzunehmen. Den Partner und sich selbst zu verstehen, heißt Verantwortung für die eigene Biografie zu übernehmen, statt dem anderen Schuld vorzuwerfen, weil er die angebotene Rolle nicht übernimmt.
Darauf folgt laut Ingeborg Volger oft Trauer um Versäumtes, um eigene Begrenztheit, um oder Unerfülltes. „Fehlender Streit ist oft ein Zeichen für fehlende Ambivalenzfähigkeit.“ Damit meine sie nicht die Bereitschaft zu Kompromissen, sondern Spannung auszuhalten. Dann könnten bei allen zugestandenen Differenzen gemeinsame Themen und teilweise Übereinstimmungen in wesentlichen Bedürfnissen wieder als Kraftquellen sprudeln. Una Giesecke
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