Peter Richter hielt Dresdner Rede über Dresden

Peter Richter Foto: Robert Michael

Der geborene Dresdner Peter Richter, heute New-York-Korrespondent der Süddeutschen, hat am 21. Februar eine der vier diesjährigen Dresdner Reden gehalten. Denn dort, einen Ozean weit weg, holt ihn seine Herkunft immer wieder ein. Obwohl er mit 19 wegging, muss er sich immer wieder rechtfertigen.

So erzählte er von einem Interview mit Tom Hanks, der übrigens der einzige Amerikaner sei, der Dean Reed kennt. Hanks hatte den Spieß umgedreht und ihn ausgefragt, was da los sei im Tal der Ahnungslosen. Den ausführlicheren Antwortversuch im ausverkauften Schauspielhaus belohnte das Publikum mit langem Beifall.

Peter Richter, aufgewachsen am Elbhang, suchte eine Ursache in der Teilung Sachsens von 1485. Ohne die wäre Preußen vielleicht nie so erstarkt und Dresden heute deutsche Hauptstadt  statt rechts unten gelegen, und damit meine er nicht nur die geografische Lage. Beleidigt mit der Geschichte hadernd, sei Dresden die zerstrittenste Stadt Deutschlands. Über jeden Anlass spaltet sie sich in zwei einander hochemotional bekämpfende Lager, Richter nennt sie Elbnarzissten und Dresden-Hasser. Schon Fontane habe die zwei Gesichter der Kaffeesachsen beschrieben: das sentimentale und das zornig-verbitterte. Und „89/90“, wie Richters jüngster Roman heißt, riefen die einen „Wir wollen raus!“ Und die anderen: „Wir bleiben hier!“

Von seinem Schreibtisch aus sehe er Brooklyn, das zu hundert Prozent  aus Einwanderern besteht, die ruppig aneinander vorbeileben. Im Central Park beobachtet er zwölfjährige Milliardärskinder, die rund um die Uhr von Gouvernanten bewacht werden und denen eines Tages alles, alles gehören wird. Peter Richter würde nicht tauschen wollen, denn eines wird ihnen niemals gehören: eine Kindheit in Dresden.

Verwundert habe er erst im Weggehen erkannt, dass nicht alle Dresden für den Nabel der Welt hielten, dass mit jeder Fußballsaison der siebenjährige Krieg gegen die Berliner erneut geführt wird. Unter der Deutschlandflagge hatten Dresdner 1989 bei Kohl mit hohem Erwartungsdruck blühende Landschaften bestellt. Sie bekamen eine Prager Straße a la Bochum und Fertighäuser mit Blechbalkons auf die Abenteuerwiesen der Kindheit gestellt. „Wo sonst springt man sich in Städtebaufrage mit dieser Vehemenz an die Gurgel?“

Der Blick auf den Osten reduzierte sich in den Medien auf Hoyerswerda und Lichtenhagen. „Die 15 Prozent Braunen in der Sächsischen Schweiz machen die Schlagzeilen, die restlichen ,Gutmenschen‘ spielen in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle.“ Nach der Wende beobachtete Peter Richter, wie alles umgedreht wurde. „Plötzlich kam ich aus Dunkeldeutschland und Hamburg mit seinen Neonazigrößen war der Hort des Antifaschismus.“

Überall sieht er Unversöhnlichkeiten, man erinnere sich an die Inschrift „Der Sozialismus siegt“, aus der der fischelante Sachse „Der Sozialismus siecht“ machte. Er versteht einerseits die Empörung  jener Dresdner, die „voller bratapfelglänzendem Stolz auf August den Starken“ Montag für Montag das Image Dresdens kippen sehen. Er versteht andererseits die Unlust am strammen auf die Spitze getriebenen Durchgendern.

Und fragt sich, ob der ultrasächsische Kanzlerin-Verwünschungsdurchfall in Heidenau Angela Merkels umstrittene Entscheidung beeinflusst habe. „Ich sehe einen tiefen Riss, über den hinweg sich die Ränder anbrüllen.“ Unter den montäglichen Deutschlandflaggen höre er eine erbitterte Standortbestimmung von zwei Prozent: „Wo wir sind, ist das Volk“.

Peter Richter würde gern solche Vexierbilder, die Licht und Schatten zeigen wie zwei Seiten einer Medaille,  umdrehen und auf die 500.000 verweisen, die montags nicht demonstrieren. Oder auf die USA, die als größtes Einwanderungsland bislang 2647 Syrer aufgenommen haben, 0,06 Prozent ihrer Bevölkerung, und Europa wie bei einem Footballmatch zuschauten. Peter Richter wünschte sich am Ende seiner Sonntagsrede: Warum sollte Dresden nicht nur ein Modell für Problemlagen sein, sondern auch für Lösungsansätze, und bitte gern mit der heißen Energie der Wut. (Una Giesecke)

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