Gustav singt seit neun Jahren im Dresdner Kreuzchor – in diesem Sommer zum letzten Mal.
Manchmal ändert sich das Leben, während man vor dem Plattenspieler sitzt. Bei Gustav war es eine Langspielplatte des Kreuzchores, die er wieder und wieder bei seinen Großeltern hörte. Da hatte der Neunjährige bereits seit vier Jahren Klavierunterricht, wohnte im Brandenburgischen nahe Bad Liebenwerda und träumte von der großen Welt der Musik.
Anfangs mit Heimweh
Dennoch: Die Umstellung – weg von zu Hause, hin zur musikalischen Gemeinschaft – war nicht ganz einfach. Denn wer im Kreuzchor singt, also Kruzianer ist, wohnt mindestens im ersten Jahr im Alumnat in Dresden, nicht nur, wenn er von außerhalb kommt. Natürlich habe er Heimweh gehabt. „Ich war gerade in die vierte Klasse gekommen, kurz vor meinem zehnten Geburtstag.“ Anfangs habe er täglich mit seiner Mutter telefoniert. „Oft hat sie mir am Telefon vorgelesen.“ Aber die Traurigkeit legte sich schnell – zu aufregend war das Leben als Kruzianer. Klar: Die Schule, die täglichen Proben, Auftritte, Reisen und die frühe Selbstständigkeit – all das sei auch eine Herausforderung. „Aber es ist auch ein Stück Freiheit, mit Gleichaltrigen zusammen zu leben. Und man ist nie allein.“ Der Kreuzchor, das sei eine Art Familie geworden.
Abends in Tokio unterwegs
Jetzt ist der junge Mann 18 Jahre und steht kurz vor dem Abitur. Nicht einfach nebenbei reist er mit den anderen zu Auftritten, erst Ende November ging es nach Japan. In anderthalb Wochen standen sechs Auftritte in fünf Städten an, Freizeit gab es dennoch ausreichend. „Das war schon toll – abends mit den Jungs in Tokio unterwegs.“ Er habe viel von Land und Städten gesehen. In den Jahren zuvor war er in Polen, Tschechien, der Schweiz und etlichen anderen Ländern. Im Sommer fliegen die Kruzianer nach China. Das werde sicher sehr emotional, glaubt Gustav. Schließlich ende dann seine Zeit beim Kreuzchor. „Es ist jetzt alles das letzte Mal: das letzte Adventskonzert, das letzte Pfingstsingen, die letzte Serenade in Pillnitz.“ Das gemeinsame Singen, das Miteinander mit den anderen und die über die Jahre gewachsenen intensiven Freundschaften, all das werde ihm sicher fehlen. „Aber das Singen und Musizieren wird mein Hobby bleiben.“ Er singe gern Schütz, höre auch zeitgenössische Musik sowie Hip Hop oder Techno.
Ausbildung zum Rettungssanitäter
Von den elf Abiturienten des Kreuzchores will einer Gesang studieren und einer Musikproduktion. Und die anderen? Nichts mit Musik. „Ich weiß noch nicht, was und ob ich überhaupt studieren möchte“, antwortet Gustav. „Zunächst lasse ich mich zum Rettungssanitäter ausbilden.“ Er bewundere die Leute, die anderen helfen. „Bei jedem unserer Konzerte sind sie in Bereitschaft.“ Er helfe ja sicher auch manchem mit seinem Gesang. „Aber die helfen ganz praktisch, wenn Not ist.“ Bis er den Kreuzchor verlässt, wird Gustav fürs Abi pauken und Auftritte meistern – und er wird hin und wieder auch dirigieren. Denn in seiner Position als Chorpräfekt hilft er aus, wenn der Chorleiter mal nicht kann oder wenn der Kreuzchor geteilt ist, beispielsweise, wenn die Kurrende am Altar der Kreuzkirche singt, die anderen aber ihre Töne von der Empore schicken.
Er wird weiter in der kleinen Striesener Wohnung vis à vis des Alumnats wohnen, derzeit noch in einer WG mit seiner Schwester, die in Dresden studiert. Manches endet, anderes beginnt neu. „Die Musik wird immer bleiben.“ Thessa Wolf
Interessierte können mit ihren Familien am 9. März zum Nachwuchstag vorbeischauen. Von 13 bis 16 Uhr steht das Haus offen. Es gibt eine öffentliche Chorprobe und Zeit für Gespräche mit Klassenlehrern und Erziehern.
Ort: Alumnat, Ermelstraße 1 in 01277 Dresden
kreuzchor.de
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