Auf der Reise durchs Robot-Valley

Mit dem TracePen, dem weltweit ersten handgroßen „No-Code“-Gerät, mit dem Menschen Robotern einfach und schnell beibringen können, will das Unternehmen Wandelbots Maßstäbe setzen. // Foto: Wandelbots

In Dresden sitzen mehrere Visionäre der digitalen Zukunft. Und die hat schon längst begonnen.

Nicht ein Roboterarm, gleich mehrere setzen sich zeitgleich in Bewegung. Justiert über dem Patienten operieren sie am offenen Bauch. Wie von Geisterhand geführt wirkt das für den Laien und ist doch höchst reale Präzision. Gesteuert wird Da Vinci Xi – so heißt das hochmoderne OP-Robotersystem – von Menschenhand. In diesem Fall von Prof. Jürgen Weitz.

Der Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Dresden gehört zu den Visionären der Robotik in der modernen Medizin. So ungewöhnlich es erscheinen mag – dass Roboter die Hände der Chirurgen ersetzen, ist längst keine Science Fiction mehr. Und das hat gute Gründe. Gerade hoch-diffizile Eingriffe sind immer Millimeterarbeit. Und die können Maschinen sicherer als Menschen ausführen. Da Vinci Xi kommt im Dresdner Uni-Klinikum deshalb vor allem dort zum Einsatz, wo punktgenaue Präzision nötig ist. Etwa bei Darmkrebs-Operationen.

Setzt der Operateur hier den Schnitt zu nah am Tumor an, kann das potentiell ebenso gefährlich sein wie ein Eingriff, der zu weit vom Geschwür entfernt beginnt. Inkontinenz oder Impotenz können mögliche Folgen sein, wenn die Millimeter-Frage im OP nicht ganz exakt entschieden wurde. Im Fokus stehe immer das Ziel, dem Patienten so viel Lebensqualität wie möglich zu erhalten beziehungsweise zurückzugeben, so Jürgen Weitz.

Die Ergebnisse der auf diese Weise durchgeführten OPs sind vielversprechend. Wer nun denkt, er und sein Team überlassen den Job bald ganz dem Roboter-Kollegen, liegt trotzdem falsch. Was Da Vinci tut, wird auch auf lange Sicht der menschliche Operateur entscheiden. Er sitzt – und das mag dem Laien besonders ungewohnt erscheinen – einen Meter entfernt, mit dem Rücken zum OP-Tisch an einer Steuerungseinheit, die er entsprechend justieren kann. Modernste IT und Medizin – das gehört längst
zusammen. Und so wird am Uniklinikum – konkret am Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Digitale Gesundheit (EKFZ) – interdisziplinär gearbeitet.

Damit Roboterarme noch besser, noch präziser, noch sicherer arbeiten können, entwickelt etwa das Team um die Informatik-Professorin Stefanie Speidel Assistenzsysteme, die den Chirurgen sicher und ohne Umwegezum Tumor führen sollen. Die Roboter im OP sind beeindruckend. Aber sie sind nur ein Beispiel dafür, wie bedeutsam Robotik für die moderne Medizin geworden ist. Können gezüchtete, so genannte Organoid-Kulturen die Diagnostik revolutionieren? Schlucken wir künftig eine Pille, die – einmal im Körper angekommen – präzise analysiert, ob etwa nach einer OP eine Entzündung droht, die Gefahr meldet und so die schnellste und bestmögliche Behandlung möglich macht? Vielleicht ist der kleinste mikroelektronische Roboters der Welt, der durch einen Zwillings-Düsenjet angetrieben und gesteuert wird, ja der Vorläufer für den Operateur von morgen? Einen, der fürs menschliche Auge unsichtbar, im Körper repariert, was kaputtgegangen ist – ganz ohne OP-Narben und den Körper belastende Eingriffe?

Er ist übrigens Sachse, der Mini-Roboter. Entwickelt wurde er von einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Oliver G. Schmidt, Inhaber der Professur Materialsysteme der Nanoelektronik an der Technischen Universität Chemnitz, Initiator des Zentrums für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN) an der TU Chemnitz und Direktor am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden. Er verweist gern darauf, dass vieles von dem, was heute ganz normal erscheint, noch vor wenigen Jahrzehnten ins Reich der Fiction gehörte. „Der Film ‚Die Reise ins Ich‘, bei dem die Protagonisten geschrumpft und mit einer Art Raumschiff im Körper unterwegs waren, ist ein gutes Beispiel“, so Professor Schmidt. In gewisser Weise ist das, was er und sein Team in Zusammenarbeit mit den Ärzten am EKFZ tun, die Umsetzung dessen, was Drehbuchschreiber und Kinobesucher seinerzeit so fasziniert hat.

Nach einem Besuch im EKFZ mitten in Dresden fühlt man sich der RobotikZukunft ein gutes Stück näher – und hat trotzdem nur einen Bruchteil dessen gesehen, was die sächsische Landeshauptstadt zum Thema zu bieten hat. Dresden – Robot Valley – dieser Begriff, der nicht von ungefähr ans Silicon Valley in den USA erinnert, soll Gewicht bekommen. Das wünscht man sich nicht nur in der Wirtschaftsförderungsabteilung des Dresdner Rathauses. Dort, wo man tatsächlich an der forscht zur Arbeit, zur Medizin und zur Produktion von morgen, hat man oft das Problem, außerhalb von Fachjournalen übersehen zu werden.

Bei Sachsen fällt den meisten dann doch zuerst die Automobilindustrie ein. Immerhin: mit Mobilität hat auch der Elwobot etwas zu tun. Auf dem Gelände des Instituts für Agrarsystemtechnik der TU an der Bergstraße dreht ein Prototyp des autonom fahrenden Obst- und Weinbauroboters mit modularer Energieversorgung und elektrischem Antrieb ein paar Proberunden für die Journalisten. Der Elwobot ist Ergebnis jahrelanger Forschung und vieler Tests. Die Aufgabe: Wie konstruiert man ein Gerät, das selbstständig Pflanzenschutzmittel auf den weiträumigen Obstplantagen ausbringt, das mulchen kann, dabei Hindernisse erkennt und Daten sicher überträgt? Der Elwobot ist auf dem besten Weg. Nur mit dem Pflücken tut er sich noch schwer. Die Erfolgsquote reiche noch nicht an die der manuellen Ernte heran, sagt Wissenschaftler Jens Fehrmann. Er und sein Team haben noch viel vor mit dem Elwobot. Das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie und die TU haben dazu einen Forschungsvertrag über vier Jahre unterzeichnet. Die Kosten von rund 1,8 Millionen Euro trägt der Freistaat.

Vom Feld in den Reinraum. Infineon oben im Dresdner Norden ist auch außerdem des Freistaats ein Begriff. Was sich hinter eleganten Formulierungen wie „Halbleiterlösungen für die intelligente und effiziente Erzeugung, Speicherung, Übertragung und Nutzung von Energie“ oder „einer breiten Auswahl anerstklassigen Leistungs- und Sensortechnologien“ verbirgt, erahnt der Laie, wenn er–im kompletten Schutzanzug schließlich in eben jenem Reinraum steht. Und hier sind sie wieder die Roboterarme. Hier freilich operieren sie nicht, sie transportieren und überwachen. Vor knapp zehn Jahren hat Infineon die weltweit erste Hochvolumen-Fabrik für Leistungshalbleiter auf 300mm-Wafern in Betrieb genommen. Diese Wafer sind bis heute der Kern des Unternehmens. Automatisiert durchlaufen sie die Fabrik – natürlich noch immer überwacht von Menschen.

Und doch sieht man sich bei Infineon nicht von ungefähr als Vorreiter für die Industrie 4.0, also der Digitalisierung der industriellen Produktion. Wo die Anforderungen an Effizienz, vor allem aber auch in Sicherheit in hochsensiblen Bereichen steigen, braucht es technische Lösungen, die dem gerecht werden. Infineon in Dresden will hier Vorreiter sein und nicht zuletzt damit Jobs sichern. Aktuell hat das Unternehmen mehr als 2.700 Mitarbeiter und ist damit einer der wichtigsten industriellen Arbeitgeber der Region. Die Roboter sind also längst da. Doch wer bringt ihnen eigentlich bei, was sie können müssen? Eine Antwort darauf gibt es bei Wandelbots. Die Wurzeln des Unternehmens mit heute über 80 Mitarbeitern liegen im Institut für Informatik der TU Dresden. Gegründet wurde es 2017 mit der Mission, „Robotik für jeden zugänglich zu machen“. Dass das mehr als ein gängiger Slogan war zeigen die Auszeichnungen und die 26 Millionen Euro Investitionskapital, die Wandelbots seitdem gesammelt hat.

Das Unternehmen hat eine Technologieplattform entwickelt, die es Nicht-Programmierern ermöglicht, Industrieroboter für die Ausführung von Präzisionsaufgaben anzulernen. Großunternehmen. Infineon und VW Dresden gehören zu den Kunden der Firma, die mit der Markteinführung des TracePen, dem weltweit ersten handgroßen „No-Code“-Gerät, mit dem Menschen Robotern einfach und schnell beibringen können, wie sie komplexe industrielle Aufgaben ausführen können, international Maßstäbe setzen will. Die entwickelte Methode gilt als bis zu 70 Mal schneller und ist mit einem Bruchteil der Kosten herkömmlicher Programmiermethoden verbunden.

Mensch und Maschine – Antipoden oder die einzige Chance für einen Pakt für die Zukunft? Die Zukunft, es mag eine Binsenweisheit sein, hat längst begonnen. Und in Dresden wird in vielen Laboren, in Testräumenund Büros an eben jener Zukunft gearbeitet. Viele Fäden laufen im „Zentrum für taktiles Internet mit MenschMaschine-Interaktion“ zusammen. Die Abkürzung CeTI klingt etwas eingängiger. CeTI ist ein sogenanntes Exzellenzcluster der TU und will nicht weniger als die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine auf eine neue Stufe heben. Intelligente Brillen, E-Textilien, Schnittstellen zwischen Lehre und Technik oder eben die robotergestützte Chirurgie kommen ohne diese Zusammenarbeit nicht zustande. Die sichere Echtzeitkommunikation über 5G-Netzwerke ist ebenso Thema wie das Lernen der Zukunft. Und so fühlt es sich dann mitten in Sachsen doch ein bisschen an wie im Silicon Valley, bei dem es am Ende auch nicht um die kalifornische Sonne, sondern um ein einzigartiges Zusammenwirken von Menschen geht, die die Zukunft in die Hand nehmen wollen. Die über Fachgrenzen hinaus forschen, erproben, Rückschläge auswerten, kleine Fortschritte zu großen machen. Und aus deren Reihen dann der kleinste mikroelektronische Roboters der Welt, der durch einen Zwillings-Düsenjet angetrieben wird, seinen Weg in die Fachwelt antritt. Aus dem Robot-Valley Dresden.

ANNETT KSCHIESCHAN

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  1. Roboter für die Wirtschaft von morgen - DAWO! - Dresden am Wochenende

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