„Dresden (dpa/sn) – Nach Befragung der Innen- und Justizminister kommen die Landtagsfraktionen in Sachsen zu unterschiedlichen Einschätzungen der Behördenleistung im Fall «Al-Bakr». Während die Regierungsparteien CDU und SPD nach einer gemeinsamen Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuss die erfolgreiche Verhinderung eines drohenden Anschlags in den Mittelpunkt stellten und nach teils heftiger bundesweiter Schelte zumindest von einer momentanen Entlastung sprachen, sieht man bei der Opposition nach wie vor viele offene Fragen. Von den Linken wurden vor allem der Polizeieinsatz und der zuständige Innenminister Markus Ulbig (CDU) kritisiert.
Mit Ulbig standen am Dienstag in Dresden Justizminister Sebastian Gemkow (CDU), Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann, Landespolizeipräsident Jürgen Georgie sowie Vertreter von Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt den Mitgliedern der Ausschüsse für sechs Stunden Rede und Antwort, um die Ereignisse rund um die Fahndung nach dem Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr und dessen späteren Suizid in der Untersuchungshaft zu erhellen.
Dabei sei klar geworden, es «war alles in allem ein erfolgreicher Anti-Terror-Einsatz, der die Gefahr vor einem wohl unmittelbar bevorstehenden Terrorakt gebannt hat», sagte der CDU-Innenexperte Christian Hartmann. «Mit einer Vielzahl von Gerüchten und Anschuldigungen konnte aufgeräumt werden.» Als Beispiel nannte er von Medien zitierte Aussagen von Nachbarn, wonach Al-Bakr noch in der Nacht vor seiner Festnahme an der Tür seiner früheren Wohnung im nordsächsischen Eilenburg gewesen sein soll. Dies erweise sich «aus heutiger Sicht als falsch».
Auch sein SPD-Kollege Albrecht Pallas meinte, dass «offene Fragen und vermeintliche Pannen» von der Regierung «für den Moment plausibel erläutert» worden seien. Klar sei aber auch: «Wir müssen Schlussfolgerungen aus dem Einsatz ziehen und uns intensiv mit dem Thema internationaler Terrorismus befassen.» Zudem hätten wegen der noch laufenden Ermittlungen nicht alle Fragen beantwortet werden können.
Beide begrüßten die von der Staatsregierung eingesetzte unabhängige Expertenkommission unter Leitung des früheren Karlsruher Verfassungsrichters Herbert Landau und sprachen sich für eine weitere kritische Überprüfung des Geschehens aus. «Dass den Beamten der Tatverdächtige beim ersten Zugriff entkam, stellt weder die Polizei selbst, den Innenminister noch uns zufrieden», räumte Hartmann ein.
Für die Linken ist weniger der Suizid des Syrers Al-Bakr, der sich am vergangenen Mittwoch – zwei Tage, nachdem ihn Landsleute in Leipzig überwältigt und der Polizei übergeben hatten – in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Leipzig erhängte, kritisch zu hinterfragen als vielmehr der vorangegangene Polizeieinsatz. «Mein Fazit: Was zu klären ist, geschah nicht in der JVA, sondern beim Einsatz zuvor. #Ulbig go Home», twitterte er Linken-Abgeordnete Mirko Schultze.
Der sächsische Linke-Bundestagsabgeordnete André Hahn verlangte den Rücktritt von Ulbig und Gemkow. «Die Politik darf sich nicht wegducken», sagte er der Chemnitzer «Freien Presse» (Mittwoch). Am Mittwoch wird sich auch der Bundestagsinnenausschuss mit dem Fall befassen.
Vier von sechs Stunden der Sondersitzung in Dresden drehten sich um das Geschehen vor der Einlieferung des 22-jährigen Syrers in die JVA und mithin um den Zuständigkeitsbereich des Innenministers. Der Innenexperte der Grünen, Valentin Lippmann, konstatierte, dass die Einschätzungen in entscheidenden Fragen noch «sehr unterschiedlich» seien.
Im Vorfeld hatten sich die Parteien darauf verständigt, im Anschluss an die Sondersitzung Stillschweigen zu bewahren. Weitere Schlussfolgerungen wollten die Ausschussvorsitzenden Mario Pecher (SPD/Innen) und Klaus Bartl (Linke/Recht) sowie die Fraktionen am Mittwoch in Dresden öffentlich machen.
Der Bericht der Expertenkommission soll der Staatsregierung bis Jahresende vorliegen. Neben Landau gehören dem Gremium Ex-Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm, die Psychologin und frühere Leiterin der JVA Celle, Katharina Bennefeld-Kersten, und der ehemalige Inspekteur der Polizei Brandenburg, Jürgen Jakobs, an.
Unterdessen bleibt der als Komplize des mutmaßlichen IS-Terroristen al-Bakr verdächtige Chalil A. in Untersuchungshaft. Der 33 Jahre alte Syrer wurde am Dienstag am Bundesgerichtshof in Karlsruhe einem Ermittlungsrichter vorgeführt, der einen neuen Haftbefehl erließ, wie die Bundesanwaltschaft mitteilte. Wie der Anwalt des Beschuldigten sagte, werde sein Mandant weiter in der JVA Dresden untergebracht.
Chalil A. ist Mieter der Chemnitzer Wohnung, in der Al-Bakr nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zuletzt gewohnt und einen Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen vorbereitet hatte. Bei der Durchsuchung der Wohnung waren am Samstag vor einer Woche 1,5 Kilogramm des hochgefährlichen Sprengstoffs TATP gefunden worden.“
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