„Schämen Sie sich nicht, sich zu schämen!“, muntert Paul Podemski seine zurückhaltende Gästeschar auf. Der TU-Student führt sie durch eine Sonderschau im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, die unter dem Titel „100 Gründe rot zu werden“ ein Gefühl beleuchtet, das jeder kennt, den meisten aber peinlich ist. Dabei hat das mit Schweißausbrüchen und Verlegenheitsgesten verbundene Erröten eine klare Funktion: Es signalisiert wie eine Warnlampe zumeist unsichtbare Grenzübertritte.
Was nun aber als Verletzung der Privatsphäre oder von gesellschaftlichen Regeln betrachtet wird, ist von Kultur zu Kultur recht unterschiedlich, da kommen locker hundert Gründe zusammen. Diese bilden den roten Faden durch die Schau und stehen zudem auf einem Faltblatt, wo Besucher für sich ankreuzen können, wofür sie sich von abgrundtief bis überhaupt nicht schämen. Am Ende weiß man, ob die eigene Empfindung eher aus individuellen oder öffentlichen Motiven gespeist wird. Denn das Spektrum reicht von persönlichen Merkmalen wie Körpermaßen oder nackten Genitalien bis hin zu Massenphänomenen wie Shitstorm oder Steinigungen.
So kreisen einige der gezeigten Dokumente, Filme oder Ausstellungsstücke um so geheime Themen wie Ehebruch oder Pornografie. Andere widmen sich Verhaltensweisen von Behörden oder Medien wie versagte Anerkennung oder übertriebene Neugier, Machtmissbrauch oder Unverhältnismäßigkeit.
Während beispielsweise die in der Sonderschau gezeigte „Heilige Unterhose von Karl Marx“ 2012 chinesische Reisegruppen in Trier derart pikiert hatte, dass ihre Stadtführungen einen Bogen darum schlugen, fanden es Deutsche in der Regel witzig. Als Parodie auf Wallfahrten hatte Helmut Schwickerath eine Art Karikatur geschaffen, die Kritik am Reliquienkult üben wollte, von den Chinesen aber als Sakrileg aufgefasst wurde.
„Scham und Stolz liegen eng beieinander, sind regelrecht miteinander verbunden“, behauptet Podemski und deutet auf ein Kabinett mit sächsischen Erfindungen, Sachsenhymne und einem T-Shirt, das den Schriftzug in altdeutschen Lettern „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ trägt. Die Gesichter seiner Zuhörer melden ihm Bejahen, Peinlich-Berührtsein bis hin zum Lächerlich-Finden zurück.
Belustigt schmunzeln auch viele, wenn Paul Podemski ihnen von der japanischen Sitte erzählt, auf öffentlichen Toiletten laute Klassik oder Wasserrauschen einzuspielen, um die menschlichen Geräusche zu übertönen. Andere nicken, sie fänden diese Hilfestellung zur Diskretion erleichternd.
Und so regt die Schau zum Nachdenken über Selbstverständlichkeiten an und lädt ein, einmal die guten Seiten dieser zumeist negativ erlebten Emotion zu entdecken. Kurzum: „Schämen Sie sich nicht, sich zu schämen!“
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