Dresden. Die gute Nachricht zuerst: Auf der Bühne des Großen Hauses stehen neben echten Schauspielern „echte“ Menschen, Bürger wie du und ich. Sie sind Zeitzeugen und Opfer des DDR-Jugendwerkhofs Torgau. Am Ende des Premierenabends erheben sich viele Zuschauer, erweisen diesen Leidenswegen Mitgefühl und zollen deren Mut, darüber öffentlich zu sprechen, Respekt.
Die schlechte Nachricht: Bis der Vorhang fällt, dauert es geschlagene drei Stunden. Es ist eine gründliche Abrechnung mit den sadistischen, militaristisch gewalttätigen Erziehungsmethoden, deren Wurzeln leider recht einseitig und oberflächlich in der Verzerrung von Makarenkos Utopie gesucht werden. Auch wenn das 100-jährige Jubiläum der Oktoberrevolution den Anlass liefert, an die Millionen verwahrloster Straßenkinder zu erinnern, die infolge bettelnd und stehlend durch die Städte zogen.
Makarenkos Buch „Der Weg ins Leben“ ist „gelernten“ DDR-Bürgern bekannt, es handelte von den Idealen einer Pädagogik, die auf die sozialisierende Kraft von Gemeinschaft und handwerklicher Arbeit setzt. Soweit so schön. In der Realität lief es freilich anders, der neue Mensch ist ohne den alten nicht zu machen.
Sicher ist es beim Thema Zwangsumerziehung im Heim sinnvoll, das Publikum an die Schmerzgrenze zu führen, doch in dieser ambitionierten Inszenierung überwiegt ein Gefühl von Zähigkeit, weil mehr aufgezählt und beschrieben als analysiert und aufgearbeitet wird. Die Premiere zieht sich von neun bis Mitternacht, aber erst in den letzten Minuten kommen die Verirrungen erzwungener Liebe in der antiautoritären Erziehungsanstalt Salem am Bodensee zur Sprache, das reicht eben nicht.
Warum ein Besuch trotzdem lohnt: Volker Löschs Regiearbeit fordert kontroverse Debatten heraus, ein vielköpfiges Ensemble agiert energiegeladen und sehenswert und Carola Reuthers Kostüme holen den Stoff ins bedenkliche Heute. Una Giesecke
22.10., 16 Uhr; 25./31.10., jeweils 19.30 Uhr, Karten ab 11 Euro: Tel. 0351 4913555,
www.staatsschauspiel-dresden.de
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