Als der Zoo Menschen zur Schau stellte

Menschenschau Völkerschau

Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhundert gab es im Dresdner Zoo „Menschen- und Völkerschauen“. Gezeigt wurden „exotische Völker“. Das Stadtmuseum Dresden plant ab November eine Ausstellung dazu.

Die kleinwüchsigen Menschen der Colibri-Truppe, das an Hypertrichose leidende „Affenmädchen Krao“, die Frauen der Sara-Kaba mit ihren Lippentellern, die „Singhalesen-Karawane“ – es gab Zeiten, da waren exotisch scheinende Menschen im Zoo Dresden wie Käfigtiere ausgestellt. Zum Beispiel auf einem Platz hinterm Elefantenhaus in der Nähe des Zoo-Restaurants – auch „Völkerwiese“ genannt und mit Brettern umzäunt. Ab 1910 gab es zwischen Raubvogelkäfigen, Bärenzwinger und Affenhaus sogar einen neuen Platz mit Tribüne, der auch für Tierdressuren genutzt wurde.

Ein Geld bringendes Geschäft für beide Seiten

Was heute makaber klingt, unvorstellbar ist und nach „kultureller Aneignung“ schreit, war bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts Normalität. Denn Menschenschauen haben eine lange Geschichte, die in vielen europäischen Städten im 18. Jahrhundert begann. Der fürstliche Hof war ebenso Ort solcher Schauen wie später Jahrmärkte und Zirkusse. Ab den 1870er-Jahren fanden „Völkerschauen“ auch im Zoo Dresden statt – und zwar als inszenierte Shows, die als „authentisch“ deklariert wurden. In der Hoch-Zeit galt der Zoo am Großen Garten als zentraler Punkt in einem europaweiten Netzwerk von Veranstaltungsorten für Menschenschauen.

Menschenschau Völkerschau

Die Schauen waren nicht nur Zeitgeist, sondern vor allem lohnende Einnahmequelle. Und zwar für beide Seiten: Zum einen für die Zoos, die „gezähmte Wilde“ zeigen konnten und damit Einnahmen generierten. Für den Dresdner Zoo sind zum Beispiel 76 Menschen- und Völkerschauen zwischen 1878 und 1934 dokumentiert, zu denen hunderttausende Besucher strömten. So kamen allein an einem „billigen“ (normalen) Sonntag im Jahr 1889 über 27.000 Menschen zur „Ost-Afrikanischen Karawane“.
Zum anderen klimperte es natürlich in der Tasche des Schau-Unternehmers, des sogenannten Impresario. In den meisten Fällen schloss er einen Vertrag mit dem jeweiligen Zoo ab. Aber er hatte auch ein Vertragsverhältnis mit den zur Schau gestellten „Exoten“ und bezahlte sie. Es gab sogar Fälle, in denen sich Teilnehmende wiederholt verpflichten ließen und selber Völkerschau-Unternehmer wurden. So soll es in Sachsen Indianerstämme gegeben haben, die freiwillig hier waren, gut dotierte Verträge mit Sozialleistungen ausgehandelt hatten die Veranstaltungen in den höchsten Tönen lobten.

Geschäftsmodell Menschen-/Völkerschau

Der Dresdner Zoo organisierte die Völkerschauen nicht selbst, sondern engagierten die Gruppen. Damit unterschied er sich zum Beispiel vom Leipziger Zoo, dessen Direktor Ernst Pinkert selbst „Wilde“ rekrutieren ließ und auf Tournee schickte.
Wurden anfangs nur kleine Gruppen als Vertreter einer bestimmten Kultur gezeigt, gab es später aufwendige Show-Programme mit Kulissen und unterschiedlichen Nummern wie Tanz, Überfallszenen oder Hochzeitsfeiern. Sogar „Dörfer“ wurden aufgebaut, in denen die Zoobesucher Handwerker bestaunen und Souvenirs kaufen konnten. Ihre Unterkunft fanden die Völkerschau-Menschen im Dresdner Zoo übrigens seit 1883 in einem langgestreckten Holzbau, der „Hotel zum wilden Mann“ genannt wurde. Der Bau diente zugleich als Stallgebäude für die mitgeführten Tiere.

Erforscht wurde dieses unrühmlich Kapitel Menschenschau vom Stadtmuseum Dresden, das dazu ab 5. November die Ausstellung „MENSCHENanSCHAUEN. Von Blicken zu Taten“ zeigt. Ein entsprechen Aufsatzband ist bereits erschienen.

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