Der Weltensammler in der Schütz-Kapelle des Dresdner Schlosses

Christian Clauß (li.) durchwandelt vier Rollen. Jasper Diedrichsen agiert sparsam als britischer Titelheld. Foto: Krafft Angerer

Der Regisseur Johannes Ender ist noch jung, hat aber immerhin in Damaskus studiert, Uganda und Nepal bereist, bringt also gute Voraussetzungen mit für die Inszenierung des prämierten Romans „Der Weltenbummler“ von Ilija Trojanow.
Das Bühnenbild ist grandios funktional und schafft einen spielerischen Rahmen für Fantasie. Die Schützkapelle im Schloss mit ihrem ehrwürdigen Gewölbe gibt akustisch Raum für den Chor der Derwische im Himmel. Die Zuschauertribüne ist steil, sodass alles gut zu sehen ist.
Doch zu hören sind mikroportgestützte Stimmen. Abgesehen von technischen Problemen zur Premiere, vermisste das verwöhnte Dresdner Publikum Emotionstiefe, das Ausspielen des Konfliktpotenzials zwischen Empathie eines Sprachgenies und seiner Eroberungshaltung sowie die vom Stoff vorgegebene Vielfalt und Farbenpracht der Kulturen.

Sir Richard Francis Burton ist eine der exzentrischsten Figuren des 19. Jahrhunderts. Als britischer Offizier und Forschungsreisender dringt er in kulturell wie geografisch unbekannte Regionen vor. Er übersetzt erstmals das Kamasutra und die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Seine Reiseberichte inspirierten nicht nur Karl May – sie liefern heute noch die Vorlage für abenteuerliche Graphic Novels. Schon früh ist dem jungen Burton das viktorianische England zu eng und zu bieder. Im Dienst der Britischen Ostindien-Kompanie lernt er in den Kolonien wie besessen Sprachen – bis zu 20 soll er schließlich beherrscht haben –, vertieft sich in fremde Religionen und reist zum Schrecken der einheimischen ­Behörden anonym herum. Seinen britischen ­Kollegen ist Burton schnell als „weißer Neger“ suspekt, binnen Kurzem zweifeln Einheimische nicht an seiner Identität als persischer Arzt auf Pilgerreise. So betritt er, zum Islam konvertiert, als einer der ersten Europäer die heiligen Stätten von Mekka und Medina. Burton gelingt es, Traditionen und Sprachen scheinbar wie Kleider an- und abzulegen. Seine Wandlungsfähigkeit befähigt ihn zur Spionage, doch geht er in dieser Funktion nie wirklich auf: Burton ist ein Weltensammler, ein begierig Lernender, der unaufhörlich suchen, aber auf gar keinen Fall finden will.
Ilija Trojanow vernetzt unterschiedliche Perspektiven auf Burton, lässt Begleiter zu Wort kommen und nutzt Protokolle, Briefe, Zeugenbefragungen. Burtons radikale Einverleibungen des Fremden eröffnen einen neuen Blick auf aktuelle Debatten um Integration, Herkunft und Heimat. Nicht Vergangenheit präge das Zugehörigkeitsgefühl eines Menschen, so Trojanow, entscheidend sei die Frage, wohin man gehen will.

27.8.; 1. – 5., 9./10., 19., 22./23. und 28./29.9. jeweils 20 Uhr2.10., 19 Uhr, 3.10., 11 Uhr, Karten-Tel. 03521 4913555

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